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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg
Autoren: Judith Lennox
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Gefilde des ewigen Schnees, dann wieder lief ihr der Schweiß in Strömen herunter, verklebte ihre Haare und legte die Unterröcke wie nasse Lappen um ihren glühenden Körper.
    Irgendwann kam einer der türkischen Soldaten, um die Mädchen an Deck zu holen. Mathilde wollte nicht aufstehen, aber Serafina zerrte so lange an ihr, bis sie stöhnend auf die Füße kam und hinausschlurfte.
    Das grelle Licht stach in die Augen, das Wasser reflektierte es wie Glas. In Marseille war es niemals so heiß oder so hell gewesen. Serafina stieß Mathilde weg, die sich an ihr festklammerte. Sie hatte schon allein genug Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Sie zwang sich, die Augen weit zu öffnen. Vor ihnen lag eine Stadt.
    Weiße Häuser mit blauen Fensterläden und flachen Dächern. Die Gärten wirkten aus der Ferne wie Mooskissen. Auf dem steilen Hügel erhob sich eine riesige Festung, eine hohe Mauer sicherte den Hafen. Festung und Mauer hielten die Stadt in schützender Umarmung.
    Algier.
    Serafina wurde in eine kleine, düstere Zelle des Gefängnisses gebracht und alleingelassen. Sie sah Mathilde nie wieder. Wahrscheinlich war sie in einen Harem gesteckt worden, wo sie bis an ihr Lebensende beten und jammern könnte.
    Serafina kam wegen ihrer kindlichen Erscheinung nicht in Frage für einen solchen Zweck. Zudem war sie auch krank und schien geistig zurückgeblieben. Als der Dolmetscher sie schwanken sah und feststellte, daß sie die einfachsten Fragen nicht beantworten konnte, tätschelte er freundlich ihre Hand. Das arme Mädchen konnte sich offenbar weder an ihren Namen noch ihren Geburtsort erinnern. Er schickte sie mit einer Decke, dem schimmeligen Brotkanten und der Schüssel Wasser zu den anderen, die in die Gefängnisanlage geschafft wurden. Sie wehrte sich nicht, als man ihr einen Eisenring um den Knöchel legte – sie hatte nicht einmal mehr genug Energie, um sich zu fürchten.
    Es war ihr unmöglich, das Brot hinunterzuwürgen, aber das Wasser trank sie bis auf den letzten Tropfen. Dann legte sie sich auf die Pritsche in der Ecke, wickelte sich in die Decke und versuchte zu schlafen. Sie sehnte sich nach einer tröstlichen Berührung. Wenn sie doch Rosalie noch hätte! Aus den anderen Zellen drangen Gespräche in unterschiedlichsten Sprachen an ihr Ohr: Französisch, Spanisch, Italienisch – und andere, die sie nicht kannte. Und auch die merkwürdige Lingua franca des Gefängnisses, eine Mischung aus Italienisch und Spanisch, die sie brockenweise sogar verstand. Als sie die fieberglänzenden Augen schloß, hielt die Sprache der Sklaven Einzug in ihre Träume. Sie sprach in ihr, dachte in ihr – sie hatte jede andere Sprache vergessen.
    Das Bagno, das Gefängnis, war eine riesige, stinkende Höhle, in der es von rotbemützten Sklaven wimmelte. Der wachhabende Pascha und seine Schergen huschten durch das Labyrinth der Gänge wie große, schemenhafte Fledermäuse. Wie Ibrahim in Marseille warfen auch sie sich fünfmal am Tag auf den Boden, um zu beten.
    Am nächsten Tag hatte Serafinas Krankheit ihren Höhepunkt erreicht, und ihre Füße trugen sie nur dank eiserner Disziplin, als sie dem Dolmetscher aus dem Bagno folgte. Zitternd blinzelte sie in den grellen Sonnenschein, während eine Handvoll weiterer Gefangener zusammengetrieben wurde. Es handelte sich ausnahmslos um Frauen und Kinder – all diejenigen, die zu alt, zu jung oder zu krank für ein Leben im Harem waren. Serafina kannte keines der Gesichter, doch nachdem sie lange genug hingeschaut hatte, nahm das der dicken Frau den geliebten mißmutigen Ausdruck von Martha an, und das lokkenköpfige Mädchen, das einen Lumpen umklammert hielt, verwandelte sich in Lisette, die Tochter des Bäckers in Marseille. Serafina wehrte sich nicht gegen diese Illusionen – sie begann zu begreifen, daß dieses Leben nur mit Illusionen zu ertragen war.
    Sie wurden auf den Suk getrieben, den scheinbar endlosen, überdachten Markt, durch einen Wald von Zeltstangen, an denen Segeltuchplanen befestigt waren. Die Frauen kamen tief verschleiert daher, Kinder schossen wie kleine dunkle Vögel durch die Gänge, und die reichen Reis mit ihren juwelenbesetzten, federgeschmückten Turbanen stellten voller Stolz ihre hübschen Diener zur Schau. Die Gerüche von Kuskus und Scherbett (verdünnter Fruchtsaft), Gewürzen und Haschisch, Ziegendung und Menschenschweiß machten die Luft zum Schneiden dick. Die leuchtenden Farben der feilgebotenen Seidenstoffe erinnerten Serafina schmerzlich
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