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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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wurden Opfer der Justiz, so war das; er konnte es nicht einmal missbilligen, er hasste alles Amateurhafte, alle Probleme in seinem Berufsleben waren darauf zurückzuführen gewesen, dass jemand seinen Job nicht beherrschte. Wenn jeder nur das täte, was er wirklich konnte und von allem anderen die Finger ließe, wäre die Welt ein besserer Ort ... an diese Stelle der Überlegung war er schon oft gekommen, immeran dieselbe. Er drehte sich im Kreis. Es wird nichts übrig bleiben als das Zeug auszugeben. Kleinweis. Reisen, teure Anschaffungen. Teuer, aber klein. Er hasste Reisen ...
    Er spürte den Blick. Dieser Blick ruhte schon geraume Zeit auf ihm, jetzt erst merkte er das.
    Eine Frau mittleren Alters, fahlblondes, kurzes Haar. Sie trug schwarze Schuhe mit halbhohen Absätzen und einen dunklen Mantel mit ein paar Flecken am Kragen; ein Mantel, wie er nur bei solchen Gelegenheiten ausgegraben wurde.
    Die Frau lächelt ihn an. Sie sieht nett aus, auf schwer zu bestimmende Weise, es geht etwas Positives von ihr aus, das spürt er, das ist selten bei so etwas wie dem hier ... er fasst Vertrauen, er lächelt zurück.
    »Haben Sie ...«, sagt sie, unterbricht sich, wird verlegen, scheint ihm, als ob ihr erst jetzt einfiele, dass diese Frage womöglich als indiskret empfunden werden könnte; macht eine vage Geste nach vorn, wo sich das Geschehen hinter allzu vielen Rücken, Hinterköpfen und Schirmen verbirgt, »... gekannt?«, vollendet sie die Frage.
    »Ja«, antwortet er, und »Wollen Sie?« Denn erst jetzt fällt ihm auf, dass die Dame ohne Schirm ist. Es nieselt nur noch ganz leicht, dies zu seiner Entschuldigung, und zogen nicht manche Frauen die Nässung eines leichten Regens jeder Bedeckung vor, weil das besser für ihr Haar ist? Koslowski winkelt in einer Geste, die ihm in diesem Augenblick elegant vorkommt, den Arm ab, um ihn ihr anzubieten, sie hakt sich bei ihm unter, schlüpft unter den Schirm.
    »Ja«, wiederholt er, »recht gut sogar, seit ...«
    »Haben Sie die Predigt gehört?«, unterbricht sie ihn. Er blickt sie von der Seite an. Sie ist aufgeregt. »So was von daneben!Ich meine, er hätte sich doch ein bisschen was Originelleres ausdenken können ...«
    »Ich war gar nicht drin«, sagt Koslowski.
    »Entschuldigen Sie«, sagt die Dame, »ich bin da vielleicht auch zu kritisch und ich weiß ja nicht, in welcher Beziehung Sie ...«
    »... in keiner engen«, beeilt er sich zu versichern, »wirklich nicht.«
    »Ich bin Haushälterin bei einem Pfarrer«, sagt sie, »beruflich vorbelastet.« Sie lächelt wieder, besinnt sich auf den Anlass, wird ernst.
    »Tragisch«, sagt sie dann.
    »Ja, schon«, sagt Koslowski, »obwohl ... ich meine, es war ja ... also ... man sagt ja: über die Toten nur Gutes ...«
    »De mortuis nihil nisi bene«, sagt sie.
    »Genau«, sagt er, und wundert sich, dass die Haushälterin Latein kann, und sie sagt: »Ich war nicht immer Haushälterin.«
    »Aha«, sagt er und sie: »Das muss Ihnen nicht unangenehm sein, es geht in den meisten Biographien viel auf und ab. Wie man auch hier sieht.«
    »Eben!« ruft er und ist froh über die Wendung und die Art, wie sie das Gespräch führt, denn schon hat er die Einsicht, dass sie es ist, die es führt. Aus Gründen, die er nicht versteht, hält er das aber für gut.
    »Ich wollte nur sagen«, sagt er, »es war ja abzusehen ...«
    »Da haben Sie allerdings vollkommen recht!«, sagt sie mit einer Emphase, als habe er einen komplizierten, von allen gefühlten, aber nie formulierten Sachverhalt genialisch auf den Punkt gebracht, zur unvergessbaren Sentenz verdichtet. Das schmeichelt ihm. Es tut ihm gut. Sie ist ihmsympathisch. Eine Frau mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Auch sonst stimmt alles. Die käme in Frage ... als er das denkt, spürt er, wie sein Herz einen kleinen Satz macht, aber es beunruhigt ihn nicht, obwohl er das noch nie erlebt hat. Das Herz hüpft vor Freude, denkt er, so heißt es doch, das gibt es also wirklich, ausgerechnet hier, obwohl er solche Anlässe immer verabscheut hat, Karin ist natürlich da, weit vorne, er muss Karin beistehen, das ist doch keine Frage, sie nimmt es gelassen, erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es ... er spürt, wie er ins Grübeln kommt, das ist jetzt ganz falsch, es geht darum, die Gelegenheit beim Schopf zu packen, jawohl, beim Schopf, diesem dichten Schopf...
    »Es ist sehr ungemütlich hier«, sagt er, »und bis wir vorne sind ...«
    »Ja«, sagt sie, »ich hätte andere Schuhe anziehen
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