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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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– wenn Ihnen das nicht peinlich ist – bitten um dies und das. Und sei es nur um einen glücklichen Tag. Um das Wohlergehen eines geliebten Menschen. Um Großes, um Kleines. – Ob die Bitte erfüllt wird, lässt sich nicht sagen. Aber das können Sie immerhin hoffen, jedes Mal neu. Das ist der Vorteil, wenn man keinen Deal hat. Die Zukunft ist offen. Sie sind nicht geschäftlich gebunden.«
    »Nicht geschäftlich gebunden ...«
    »So ist es. Sie sind ... wie sagt man am besten ... nun ja: Sie sind dann frei.«
    Das Reden schien den Pfarrer ermüdet zu haben. Vielleicht war er doch älter. Er setzte sich auf die erste Bank in der anderen Reihe. Die Gestalt war im trüben Dunkel kaum noch zu erkennen. Semmler, der den Pfarrer von der Seite zu fixieren suchte, kam es so vor, als sei die Figur zusammengesunken.
    »Es tut mir leid«, sagte er, »dass ich Sie so beansprucht habe ...«
    »Lassen Sie nur«, sagte der Pfarrer mit leiser Stimme. Semmler erwartete eine weitere Phrase von der Art ›dafür bin ich ja da‹ oder dergleichen, aber es kam nichts mehr von der linken Bankreihe.
    »Sie haben mir geholfen«, sagte Semmler. »Ich sehe jetzt alles klarer ...«
    »Und Sie lassen sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen, ich weiß!« Eine müde und traurige Stimme. »Ich überleg es mir noch – das sagen die Leute, wenn sie beim Messestand einen Rückzieher machen. Ich überleg es mir noch ... natürlich sieht man sie nie wieder ...«
    »So ist das nicht«, protestierte Semmler, »ich brauch nur ein bisschen Zeit ...«
    »Ja, ja. Gut. Machen Sie die Tür zu, wenn Sie gehen.« Der Pfarrer stand auf.
    »Sie ... Sie ... wollen weg?«
    »Das scheint Sie zu erstaunen. Ja, ich will weg, ich habe zu tun.«
    »Müssen Sie denn nicht vorne abschließen?« Semmler deutete auf das fahle Rechteck der Türöffnung.
    »Ich muss nicht. Ich hab auch keinen Schlüssel. Ich halte nichts von Schlössern.«
    »Ich dachte, Sie gehören hier ... dazu ... es ist doch immerhin Ihre Kirche ...«
    »Wie kommen Sie da darauf?«
    »Aber Sie sind doch der Pfarrer Moser?«
    »Ich muss mich wiederholen: Wie kommen Sie darauf? Pfarrer Moser ist übrigens viel älter.«
    Semmler schwieg.
    Der Andere sagte nach einer Weile: »Jetzt sind Sie mit einem Verrückten, den Sie für den Pfarrer gehalten haben, allein in einer Kirche außerhalb des Ortsgebietes, und sonst ist kein Mensch hier. Unangenehm.« Dann begann er zu lachen. »Keine Angst! Nur ein Scherz. Mich wundert, wie Sie auf die Idee mit dem Pfarrer kommen konnten. Bei all dem,was Sie mir erzählt haben – diese ganzen Eskapaden, die Sie sich geleistet haben: Glauben Sie nicht, ein echter Pfarrer hätte diese Sachen genauer beleuchtet, von wegen Schuld, Sünde, Sühne und so weiter?«
    »Jetzt, wo Sie es sagen ...«
    »Na also. Aber Schuld und Sühne interessiert Sie nicht so, ich verstehe das, kann ich nachvollziehen. Man muss sich darum kümmern, wer die Regeln verletzt hat. Wie beim Autofahren. Mich beschäftigt aber nicht die Vergangenheit, nur die Gegenwart. Und manchmal die Zukunft ... also: machen wir es kurz. Zwei Möglichkeiten. Die erste: Sie opfern Ihr Leben für das Ihrer Frau; funktioniert wahrscheinlich, ist aber kontraproduktiv, das hatten wir erörtert. Oder zweitens: Sie sagen sich los und überlassen alles Weitere dem Willen Gottes. Was dann passiert, kann niemand sagen, ich auch nicht, tut mir leid. Vorteil: Sie sind den Stress los. Sie sind frei. Das wär’s. Treffen Sie Ihre Wahl. Leben Sie wohl!«
    Die dunkle Gestalt bewegte sich auf die Tür zu, dort im hellen Rechteck noch einmal als schwarzer Umriss.
    »Warten Sie!«, rief ihm Semmler nach. »Wer sind Sie?«
    »Stellen Sie sich nicht blöd! Sie wissen genau, wer ich bin!«
    Dann war er verschwunden. Und er hatte Recht.
    Der Regen hatte zugenommen, es rauschte von der Tür her wie von einem Wasserfall. Ich habe noch Zeit, dachte Semmler, ich muss sowieso warten, bis das nachlässt.
    Er hatte Zeit zum Nachdenken. Nicht wahnsinnig viel, begriff er. Gute Präsentation. Jetzt, im Nachhinein, hätte es etwas zügiger gehen können; aber dann wäre er nicht mitgekommen, das war auch wieder wahr. Und diese Leute hatten auch einen anderen Zeitbegriff.
    Er setzte sich in die Mitte der Bank und ließ sich alles durch den Kopf gehen.
    Nach einer langen Weile stand er auf und sagte etwas in die Schwärze der leeren Kirche hinein. Er sprach laut, übertönte den Regen. Er sagte, was zu sagen war.
     
    K oslowski hatte erst
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