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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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Schuldigkeit getan hat. Sie hat Ihnen nichts mehr zu sagen und zu raten. Der nächste Schritt folgt logisch aus den bisherigen Schritten und wird zugleich der letzte sein, den Sie tun. Sie bieten Ihr Leben als Opfer an und sind tot. Oder Sie lassen es, dann ist Ihre Frau tot. Ganz einfach. Was werden Sie tun?«
    Nach einer langen Weile sagte Semmler: »Ich möchteweder das eine noch das andere tun ... ich möchte raus aus diesem ganzen ... wie soll ich sagen ...«
    »Reden Sie weiter, nur Mut.« Die Stimme des Pfarrers hatte sich verändert. Sie klang tiefer.
    »... aus dem System«, fuhr Semmler fort. »Aus dem ganzen Opfersystem. Ich möchte aufhören ... ja, aufhören. Aufstehen und gehen. Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Nur zu gut. Dann machen Sie das doch!«
    »Aber wie? Ich müsste doch irgendwie ... rechtlich verbindlich meinen Austritt erklären ... wie bei einem Verein.«
    »Aha. Und wem wollen Sie das erklären?«
    »Dem Universum! Das Universum, hat Frau Mießgang gesagt, ist die Macht, die solche Deals anbietet, also müsste ... Sie würden wahrscheinlich sagen: Gott – ich müsste also Gott ...«
    »Wie war das, was haben Sie da gesagt?!«
    »Gott! Das Universum ist nur ein modernes Wort für Gott ...«
    Der Pfarrer stand auf und beugte sich weit vor. »Sie irren sich! Gott heißt immer noch Gott wie seit Jahrtausenden, glauben Sie mir, ich bin vom Fach!«
    »So? Nun, wenn Sie es sagen ... aber es hat doch funktioniert ...«
    »Natürlich hat es funktioniert! Sie haben einen Handel angeboten, einen Deal. Aber nicht Gott haben Sie das angeboten, sondern dem Universum. Wer immer sich hinter dieser kindischen Metapher verbirgt, es ist nicht Gott.«
    »Sein Mund ist voll Fluchens, Falschheit und Trug; seine Zunge richtet Mühe und Arbeit an«, wiederholte Semmler leise.
    »So ist es.«
    »Es war nur ... es fällt leichter, an das Universum zu glauben ...«
    »... als an Gott. Natürlich! Ein Zeitphänomen. ›Universum‹ ist ein so wunderbar wolkiger Begriff, alles umfassend und bedeutend – man tut keinem damit weh, ein wunderbar toleranter Begriff. Wer könnte etwas dagegen sagen? Nur übersieht man, dass ein Begriff, der alles bedeutet, auch nichts bedeutet, besser das Nichts bedeutet. Das große Nichts! Dieses Nichts war Ihr Handelspartner. Dem haben Sie geopfert. Daher ist die Gesamtbilanz auch so erschütternd negativ: Am Anfang hatten wir ein paar Menschen in relativem Glück und große Vermögenswerte. Am Ende stehen dieselben Menschen in großem Unglück, das Vermögen ist verloren ... Ihre Lebensbilanz ist negativ. Sie wären gar nicht hier, wenn es nicht so wäre.«
    Darauf wusste Semmler nichts zu erwidern. Der Pfarrer hatte recht.
    »Ihr Problem ist einfach und schwierig zugleich«, fuhr der Pfarrer fort. »Wenn Sie sich an Gott wenden, müssen Sie ihn bitten. Im Neuen Testament ...« Er verstummte, schien nach einer Formulierung zu suchen und sich bei dieser Suche in Gedanken zu verlieren. Er redete nicht weiter, begann im Mittelgang auf und ab zu gehen.
    Es wurde dunkler in der Kirche, der Wetterbericht hatte für den Nachmittag den Durchzug einer Front angekündigt, Semmler wäre gern aufgestanden, vor das Tor getreten und hätte sich die schwarze Wolkenwand angeschaut, die von Westen über die Schweizer Berge hereinkam. Wenn er so schnell humpelte, wie das Knie es eben zuließ, konnte er die Haltestelle erreichen, bevor der Regen kam. Sonst müsste er eine weitere teure Taxifahrt bezahlen.
    Aber er stand nicht auf, obwohl er zu frösteln begann. Es zog in der Kirche; der Wind, der durch das offene Tor hereinkam, fand unsichtbare Ritzen für seinen Ausgang, im Hintergrund des Altarraums, der in Düsternis gehüllt war, klapperte etwas wie ein kleines Stück Blech. Der Pfarrer hatte es auch gehört, ging zum Altar und verschwand dahinter. Semmler hörte ihn murmeln. Was reparierte er dort? Dann hörte er seine dröhnende Stimme.
    »Im Neuen Testament, wollte ich sagen, kommt das Bitten, wie übrigens auch das Beten, gar nicht so häufig vor. Haben Sie das gewusst?«
    »Nein«, sagte Semmler.
    »Was?«, rief der Pfarrer vom Altar her.
    »Nein!«, schrie Semmler, »hab ich nicht gewusst! Wie oft denn?«
    »Was meinen Sie?«, rief Pfarrer Moser zurück.
    »Wie oft es vorkommt!«
    Der Pfarrer kam hinter dem Altar hervor. Das Klappern hatte aufgehört. Was war das, fragte sich Semmler. Er hatte so einen Altar noch nie von hinten gesehen. Eine Apparatur, um ... um Wunder vorzuspiegeln, fiel
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