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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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vergessen wurde. Koslowski hatte den Schlüsselbund gefunden. Wie schön, ein seltener Zufall. Neben dem bin ich in der Schule gesessen, dachte Semmler, ein Jahr oder zwei? Er erinnertesich nicht mehr genau. Wie war das gewesen, wie war Koslowski gewesen, sollte er das nicht wissen? Semmler lächelte. Der Koslowski von damals hatte ihn nicht interessiert. Ein Langweiler wie die meisten anderen. Den Koslowski von heute fand er abstoßend, denn er fragte ihn – man sollte es nicht für möglich halten! – um Rat! Unverblümt ...
    »Du hast doch an der Börse investiert«, hatte er gesagt, und Semmler hatte mit »Ja« geantwortet, weil er sich nicht vorstellen konnte, was auf diese Eröffnung folgen sollte.
    »Du kennst dich also aus. Hast du keinen Tipp für mich?«
    »Du spekulierst an der Börse?« Die Gegenfrage klang so entgeistert, dass es sogar Koslowski merkte, dem jedes Gefühl für Nuancen ebenso abzugehen schien wie Anstandsregeln. Einen Finanzmenschen fragte man nicht nach ›Tipps‹ – überhaupt ein schwachsinniger Ausdruck, den Semmler auf den Tod nicht ausstehen konnte. Tipps gab es bei Pferdewetten. Seit der Vermassung des Börsengeschäfts glaubte sich jeder, der einen Computer und irgendeine Charts-Software hatte, in unmittelbarer Nähe sagenhaften Reichtums. Und trachtete nach einem ›Tipp‹. Dass die Verwaltung eines Portfolios geduldiges Arbeiten erforderte, zähes Ringen um kleinste Vorteile, Analyse ausreichender Tiefe, das wussten all die Koslowskis nicht. Der ›Tipp‹ als Inbegriff des Geheimwissens – anders konnten es sich diese Brotesser nicht vorstellen: natürlich wurden die Reichen reich, weil eine Verschwörung im Gange war, wie denn sonst, weil sie eben über die richtigen ›Tipps‹ verfügten, eine Art Zauberspruch, der sie reich machte. Dass Erfolg etwas mit Kompetenz zu tun haben könnte, ging über ihren Horizont. Dabei war das Hauptproblem nicht, reich zu werden, sondern reich zu bleiben. Aber davon wussten sie nichts ...
    Koslowski hatte wohl auf seine Frage keine echte Antwort erwartet; er plauderte über seine Börsenerfahrungen, Semmler ließ ihn reden. Dann sagte er: »Weißt du, wie viel ich letztes Jahr verloren habe?«
    »Du hast Geld verloren? Ich dachte, du ...«
    »Eine Million, eine runde Million! So geht das zu an der Börse. Ich hab sie wieder gekriegt und noch ein bisschen was dazu, aber da war auch Glück dabei, dass es mir in einem Jahr gelungen ist, den Verlust wettzumachen. Normal sind fünf Jahre. Und manchmal funktioniert es gar nicht, verstehst du, dann ist es futsch! Jetzt stell dir vor, du hättest es ganz so gemacht wie ich – mit meinen Informationen, meinen Investments, dann hättest du auch verloren.«
    »Weniger ...«
    »Schön. Weniger. Sagen wir hunderttausend.«
    Koslowski hob zur Abwehr beide Hände.
    »Also schön, lass es fünfzigtausend sein. Du hast bis jetzt noch nie so eine Summe aufs Spiel gesetzt, sonst würdest du kaum hier sitzen – du hättest sie wahrscheinlich verloren ... das Auto wäre weg, das Haus, die Ehe kaputt, alles wäre futsch, oder?«
    Koslowski nickte.
    »Siehst du den Unterschied? Ich kann so einen Verlust aushalten, obwohl bei dieser Million ...«, er lachte, rollte die Augen und schüttelte die Hand, als ob er sich verbrannt hätte. »Kannst du dir vorstellen, wie kühl diese Banker plötzlich werden, wenn das Konto so ins Minus rauscht?«
    »Die Banken sind überhaupt eine Pest ...«
    »Kannst du laut sagen. Bei mir werden sie kühl. Und bei dir? Was würden die mit dir machen?«
    Koslowski antwortete nicht.
    »Sie würden dich durch den Fleischwolf drehen. Zweimal, nur um sicher zu gehen ... du hättest am Ende alles verkauft, was dir gehört und immer noch einen Haufen Schulden! Du würdest dein ganzes Leben kein Geld mehr sehen. Nein, mein Lieber, ich habe keine Tipps. Wenn du Geld anlegen willst, dann kauf solide Werte, einen Dachfonds vielleicht, kauf und lass liegen! Aber was rede ich da, das weißt du doch alles selber.«
    Koslowski sagte immer noch nichts.
    »Ich hab mich fast ruiniert mit der Scheißzockerei. Ich unterstütze niemanden dabei, der es auch versucht. Ich gebe keine Tipps.«
    Eine Weile wurde geschwiegen, Koslowski sah weder unglücklich noch betreten aus, nippte am Brandy. Koslowski hatte immer zu denen gehört, die sich etwas sagen ließen. Sagen, wo es langging. Solche Sachen. Kein Rebell oder so.
    Und er hatte den Schlüsselbund gefunden, Finderlohn war fällig, gehörte sich, für
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