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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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Generationen, Familienbesitz. Diese Familie war im Lauf der letzten neunzig Jahre gewachsen und bestand nun aus Personen, die von allem Möglichen Ahnung hatten, nicht abervon der Textilindustrie. Bei den Opholzers gab es unter den zweiundzwanzig Kernaktionären nicht einen einzigen Textiler; Semmler kannte das Phänomen von anderen Familienunternehmen. Die zweite Generation steigt noch, wenn schon ohne rechte Begeisterung, in die Fußstapfen der heroischen Gründerväter, die dritte wendet sich dann ab und flüchtet in Berufe mit dem größtmöglichen sachlichen und mentalen Abstand vom Metier des Großvaters. Orchideenfächer an der Uni oder Kunst und Medien. Er hatte das nie verstanden. Er hätte die Spinnerei gern weitergeführt, er hätte gern etwas hergestellt, er hätte, so dachte er, auch etwas davon verstanden; er hatte ein gutes Verhältnis zu seinem Vater gehabt und alle Ratschläge von dieser Seite aufgesogen – aber eben weil er etwas davon verstand, hatte er eingesehen, dass es hoffnungslos war. Und sehr einfach zu begreifen: man konnte am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mit Lohnkosten vom Ende des 19. konkurrieren, wie sie in Asien üblich waren. Dafür hätte er auch nicht Betriebswirtschaft studieren müssen, jeder Volksschüler musste es einsehen; nur der Opholzer-Clan brauchte zum Begreifen mehr als zehn Jahre und ließ sich in dieser Zeit vom Umstrukturierungs- und Diversifizierungs-Gefasel diverser Geschäftsführer hinhalten, bis es fast zu spät war. Semmler fragte sich oft, wie viele von diesen Leuten, die ihr komfortables Studentenleben mit den Erträgen der Opholzer GmbH bezahlt hatten, den Unterschied zwischen Voll- und Halbzwirn hätten angeben können. Oder auch nur den zwischen Zwirn und Garn. Er verachtete sie alle.
    Wirtschaften ist leicht, dachte er. Man folgt seinen Eingebungen. Hat man Geld, setzt man sie um, hat man keins, leiht man sich welches. Man kauft niedrig, verkauft hoch …was war das für ein Scheiß, der ihm da durch den Schädel ging? Wie kam er auf den Blödsinn? Wirtschaften ist verteufelt schwer, und was heißt ›Eingebungen‹? Die musste man erst einmal haben, die wuchsen nicht auf Bäumen. Er zum Beispiel hatte seit Monaten keine Eingebungen mehr, nicht eine einzige ... die anderen um ihn herum redeten, er bemerkte mit leichtem Entsetzen, dass er den Faden schon wieder verloren hatte. Alles nur wegen dieser unglücklichen Figuren. Mießgang und Koslowski. Unglück. Das war das Schlüsselwort. Das hatten die alle gemein. In der Reihenfolge ihres Auftretens: Mießgang, Koslowski, Opholzer. Natürlich relativ, das mit dem Unglück. Da gab es sicher eine Staffelung in umgekehrter Reihenfolge. Opholzer, Koslowski, Mießgang. Der junge Opholzer hatte als Firmenchef versagt, würde aber, wenn die Liquidierung auch nur halbwegs gelang, nie arbeiten müssen; sein Unglück war, dass ihn alle für einen Versager hielten. Koslowski: den kannte niemand, also konnte ihn auch niemand für einen Versager halten. Außer er selbst. Das tat er, und das war Koslowskis Unglück. Und Frau Mießgang: die kannte auch niemand, ob sie sich für eine Versagerin hielt, war uninteressant, denn sie war eine richtige, echte, unzweifelbare Versagerin mit Zertifikat. Das war ihr Unglück. Ja, so war das wohl ...
    Die Gespräche im Sitzungszimmer rauschten an ihm vorbei. Er hatte sich zurückgelehnt, die Unterlippe etwas vorgeschoben und betrachtete die Kaffeetasse auf dem Tisch. Nachdenklicher Zuhörer, der jedes Wort im Geiste wog. Aber keines, das im Raum gesprochen wurde. In der Reihe dieser Herrschaften Mießgang, Koslowski, Opholzer – wo müsste man den Namen Semmler einfügen? Hinten oder eher vorn?
    Sein Handy meldete sich. Er hatte es nicht abgeschaltet, um den informellen Charakter des Treffens mit den Opholzer-Erben zu betonen; er nahm den Anruf an und verließ das Sitzungszimmer.
    »Hör zu«, sagte Christoph Wurtz, »wir sollten diese Sache wegen der Obmannswahl noch einmal besprechen ...«
    »Glaubst du, da gibt’s noch Probleme?«
    »Na ja, ein paar von denen sind unsichere Kantonisten.«
    »Na schön. Wann?«
    »Wie wär’s um zwei?«
    »Moment ...« Semmler ließ zwanzig Sekunden verstreichen, in denen er vorgab, seinen Organizer zu kontaktieren, dann sagte er für zwei Uhr zu und kehrte in den Saal zurück. Dort bat man ihn, die nötigen Schritte bezüglich ›Riesmeyer & Partner‹ einzuleiten und beendete die Sitzung. Für das anschließende Mittagessen ließ er sich
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