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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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bin, nicht ein Lieferant oder der Briefträger. Gästen sieht man nach, bis sie das Anwesen verlassen haben, das hat einfach Klasse.
    Semmler drückte den Schalter für das Tor erst, als Koslowski dort angekommen war; er wollte sicher gehen, dass Koslowski auch tatsächlich hinaus ging, er musste sehen , wie der Typ das Grundstück verließ, das Tor sich hinter ihm schloss. Mit jedem Schritt, den Koslowski tat, wuchs Semmlers Abneigung gegen den Schulkollegen; verrückt war das, Semmler wusste es selbst, konnte sich nicht gegen das Gefühl wehren. Danke. Er schenkt ihm ein Feuerzeug, das aussieht wie Gold und was ist die Reaktion? Danke. Einfach nur: Danke. Das sagt man, wenn man um ein Papiertaschentuch gebeten oder sich einen Kugelschreiber ausgeborgt hat. Es war einfach nicht angemessen.
    Er hätte das alles nicht sagen sollen mit der verlorenen Million. War auch übertrieben – seine Standardansprache, die er immer hielt, wenn er mehr oder weniger verklausuliert um ›Ratschläge‹ gebeten wurde. Von Leuten der Gesellschaft. Die sprachen nicht von ›Tipps‹, meinten aber dasselbe. An Koslowski war die schöne Rede verschwendet, ein kaltes ›Nein‹ hätte genügt. Die relativ Armen seiner Umgebung hatten Anspruch auf rhetorische Verbrämung; den wirklich Armen wie Koslowski konnte man ohne Umschweife sagen, dass sie zu wenig Geld hatten zum Mitspielen.

2
    In den nächsten Tagen fühlte Semmler sich nicht wohl. Aus einem Grund, den er nicht festzumachen wusste, kam ihm Koslowski nicht aus dem Sinn. Und Frau Mießgang. Abwechselnd fielen sie ihm ein, störten ihn beim Studium der Charts, lenkten seine Gedanken gerade jetzt von der Sitzung ab, an der er als Berater einer Textilfirma teilnehmen musste. Dieser Firma ging es schlecht, worauf es hinauslief, war eine Liquidierung, da sollte Semmler sich einbringen. Alle hofften auf seinen Rat und darauf, das Kunststück, das er bei der Firma seines Vaters geschafft hatte, noch einmal zu sehen. Aber in Wahrheit – und hier vermischte sich das aktuelle Problem in seinem Kopf mit den Versagern Koslowski und Mießgang – in Wahrheit hatte er einfach nur das Glück gehabt, das den beiden fehlte. Das heißt: ›fehlen‹ ist nicht das rechte Wort, dachte er – Frau Mießgang hatte sogar großes Glück gehabt, dass er zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen war. Aber das ist nicht das, was wir unter ›Glück‹ verstehen, diese Art ›Glück‹ kann uns gestohlen bleiben, wenn wir von Glück reden, meinen wir einen Lotteriegewinn und nicht, mit dem Leben davon gekommen zu sein.
    Die Damen und Herren Eigentümer der »Opholzer Textil GmbH« schauten ihn alle an. Er referierte über den lamentablen Zustand der Firma. Das war nicht schwer; man brauchte keinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften, um zu erkennen, dass die Opholzer Textil auf dem letzten Loch pfiff, das ganze Land kannte die Wahrheit. Nur diezweiundzwanzig Besitzer der dritten Generation kannten sie nicht oder wollten sie nicht kennen. Semmler war von drei etwas weniger verbohrten Mitgliedern als Berater anheuert worden. Natürlich nicht offiziell, er galt als Freund der Familie und war eingeladen worden, einen »Überblick aus seiner Sicht« zu geben. Den stärksten Widerstand gegen das »Aufgeben« leisteten die Töchter; es hatte tränenreiche Auseinandersetzungen gegeben, wurde ihm berichtet, die häufigste Vokabel war »Verrat«, denn sie sahen in der Firma nicht das Geschäftsunternehmen, sondern die Heimat, die Kompensation und Trost war für alles, was in ihren kleinen Leben nicht nach Wunsch gelaufen war. Die angeheirateten Männer hatten weniger Bindungen an die Opholzer GmbH, aber loyal die Augen vor dem Offensichtlichen verschlossen.
    Semmler schonte sie nicht. Er sprach von »liquidieren«. Manche stöhnten auf, Männer beruhigten murmelnd die neben ihnen sitzenden Gattinnen. Semmler war das egal. Medizin muss bitter, der Schnitt scharf und klar sein – wenn sie das einsahen, sich der Wirklichkeit stellten, würde er die Unternehmensberater ›Riesmeyer und Partner‹ ins Spiel bringen, die einen Plan ausarbeiten sollten, die unglückselige Firma möglichst geräuschlos zu verscherbeln. Gegen Entgelt natürlich. Riesmeyer und Partner schuldete er noch einen Gefallen.
    Als er seinen Vortrag beendet hatte, begann die Diskussion. Schon mit den ersten Wortmeldungen wurde klar, dass die Wende eingeleitet, der Widerstand gebrochen war. Sie resignierten. Die Opholzer Textil GmbH gab es seit drei
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