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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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notwendig war. Semmler hatte Bellmeyer von seinem Vater übernommen. Früher war Bellmeyer Gärtner gewesen, er hatte ihn als Hausverwalter angestellt. In diesem Haus gab es siebenhundert Quadratmeter Wohnfläche, soviel, sagte Bellmeyer oft, wie in einem kleinen Block, da war ein Hausverwalter unverzichtbar.
    Teuer war Bellmeyer nicht.
    Wie ging dieser Spruch? Ich opfere XY für ... für meinen Schlüsselbund. Er drehte sich um. Niemand da. Allein auf weiter Flur. Er machte die Lampe aus, durchwühlte die Taschen. XY musste nichts Besonderes sein, nur etwas, das passte – nicht zu wertvoll, aber auch nicht zu gering. Er fand nichts, ging zum Auto zurück. Im Handschuhfach lag immer noch das Feuerzeug. Nicht aus Gold, nur vergoldet, ihrer Finanzlage entsprechend. Wessen Finanzlage? Na, ihrer! Er grinste. Er kam doch tatsächlich nicht auf den Namen, etwas mit »A«. Anita? Anna? Nein ... sie hatte es ihm zum Abschied geschenkt, wie viele Jahre das her war, hatte er auch vergessen. Egal. Das Feuerzeug war genau richtig für ein Experiment. Nicht zu wertvoll, nicht zu wertlos.
    Er hielt es in der rechten Hand und sagte den Spruch auf. »Ich opfere dieses Feuerzeug für meinen Schlüsselbund.« Dann holte er aus, wie es Gisela Mießgang mit ihrer Handtasche gemacht hatte. Etwas ließ ihn innehalten. Ein Gedanke bestimmter Art, ein Rechengedanke. Dagegen konnte er nichts tun. Wann immer es um das Abschätzen von Werten ging, begann sein Kopf zu rechnen. Selbsttätig. Fix verdrahtet.Das Aufwands-Ertrags-Verhältnis stimmte nicht. Frau Mießgang opferte dem »Universum« ihre Handtasche – für ihr Leben, bitte schön, und er sollte dieses schöne Feuerzeug, Zeugnis eines hochromantischen Abschieds, für einen ordinären Schlüsselbund opfern, dessen Kopie sowieso bei Bellmeyer lag? Kam nicht in Frage. Beim Geschäft würde man sagen: er verderbe die Preise. Jetzt fiel ihm ein, er brauchte das Opfer nicht selbst zu bringen, das hatte sie gesagt. Er konnte warten, ob es angenommen würde, hatte sie gesagt. Er steckte das Feuerzeug wieder ein. Also würde er warten.
    Bellmeyer am Telefon klang beunruhigt.
    »Da wartet jemand auf Sie, Herr Kommerzialrat!« (Die Verwendung des nichts bedeutenden Titels ließ sich Bellmeyer nicht nehmen.)
    »Was will er denn?«
    »Etwas abgeben, hat er gesagt. Nur Ihnen persönlich abgeben, Herr Kommerzialrat. Er wartet.«
    »Sie haben ihn doch nicht etwa reingelassen?«
    »Wo denken Sie hin? Er wartet vor dem Tor, das ist öffentlich, da kann man nichts machen ...«
    »Schon gut. Hat er gesagt, wie er heißt?«
    »Koslowski, hat er gesagt. Und dass er Sie von der Schule kennt.«
     
    S ie saßen sich in der Bibliothek gegenüber. An die Bibliothek konnte sich Koslowski nicht mehr erinnern, Semmlers Vater erlaubte den Kindern hier keinen Zutritt; sie lag im Erdgeschoss im Ostteil des Gebäudes. Und jetzt saß er in einem Ledersessel, umgeben von Büchern, die er zu gern ausder Nähe betrachtet hätte. Nicht jetzt natürlich, später vielleicht, erst war das Verhältnis mit Semmler junior zu klären, der ihn ohne Umstände in diesen verbotenen Bereich geführt hatte. Das ließ ihn hoffen. Der Kontakt war da, es lag an ihm, ihn auszubauen.
    Er war froh, dass sich Bellmeyer nach dem Namen erkundigt hatte, es wäre peinlich gewesen, Koslowski ohne Vorwissen gegenüber zu treten, denn er hätte ihn nicht erkannt. Und nie geglaubt, dass sich ein Mensch so zu seinem Nachteil verändern konnte. Es waren nicht die äußeren Zeichen des Verfalls – obwohl er mit Tränensäcken und Bauch keine gute Figur machte –, es war etwas an Koslowski selber, an der Mimik, der Art, wie er sich bewegte, unablässig auf dem Sessel herumrutschte, die Hände rieb, komplizierte Berührungsrituale mit Fingern und Daumen aufführte, eine Art Abzählmuster; ihm fiel nun ein, dass all dies schon der junge Koslowski an sich gehabt hatte, aber nicht so ausgeprägt. Es machte ihn verrückt, ihm dabei zuzuschauen, es war widerlich. Koslowski bot den Eindruck eines Menschen mit geheimen Lastern, deren äußere Zeichen er mit Mühe verbarg. Wenn ihm das nicht mehr gelang, wollte Semmler nicht in der Nähe sein. Er musste Koslowski loswerden. Schnell.
    Sie redeten. Auf dem Tisch zwischen ihnen die bauchigen Gläser mit andalusischem Brandy, Duque d’Alba. Und in der Mitte der Schlüsselbund. Koslowski war also verheiratet, wie schön für ihn, und hatte eine Tochter, deren Namen von Koslowski genannt und von Semmler sofort
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