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Semenon und die kleine Landkneipe

Semenon und die kleine Landkneipe

Titel: Semenon und die kleine Landkneipe
Autoren: Georges Simenon
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und dazu eine Menge Schönheitspflästerchen. Sie redete Maigret pausenlos als Onkel Arthur an.
      »Gib mir das Salz, Onkel Arthur … wie geht’s deiner Alten, Onkel Arthur?«
      Man duzte sich, puffte sich mit den Ellbogen. Waren es Freunde, alte Bekannte, oder waren es vom Zufall zusammengewürfelte Menschen, die sich unkonventionell amüsieren wollten?
      Was machte zum Beispiel der Grauhaarige, der sich als alte Frau verkleidet hatte, in seinem Alltagsleben?
      Und was die maskierte Dame, die so piepste und sich als junges Mädchen hergerichtet hatte?
      Gehörten sie zur bürgerlichen Gesellschaft wie Monsieur und Madame Basso? Er saß übrigens neben der als Braut verkleideten Dame, die er von Zeit zu Zeit mit einem verständnisinnigen Blick ansah, als wollte er sagen:
      »Wieviel schöner war es doch heute nachmittag!«
      Avenue Niel. Hotel garni … Ob der betrogene Ehemann auch hier war?
      Jemand brannte Feuerwerkskörper ab. Plötzlich lag der Garten in bengalischer Beleuchtung. Das Arbeiterpaar sah gerührt zu und hielt sich bei den Händen.
      »Wie im Theater«, flüsterte das üppige Mädchen in Rosa.
      Und ein Mörder war unter ihnen!
    »Eine Rede! Bitte, eine Rede!«
      Monsieur Basso erhob sich, lächelte verzückt, hüstelte, um Verlegenheit zu markieren, und begann, abgeschmacktes Zeug zusammenzuschwatzen.
      Zuweilen streifte sein Blick Maigret. Das einzige ernste Gesicht der ganzen Tafelrunde schien seine Aufmerksamkeit zu wecken. Der Kommissar fühlte, daß dem Mann unbehaglich zumute war, denn er wandte den Kopf ab, wenn Maigret ihn betrachtete.
      Der fragende, neugierige Blick streifte Maigret aber immer wieder.
      »… und so bitte ich euch, mit mir in den Ruf einzustimmen: Die Braut soll leben!«
      »Sie lebe!«
      Man erhob sich, küßte die Braut, tanzte weiter, stieß von neuem an. Maigret sah, daß sich Basso James näherte und ihn etwas fragte. Vermutlich richtete er an ihn die Frage:
      »Wer ist der Mann?«
      Denn er hörte James antworten:
      »Ich weiß es nicht … Jedenfalls ein netter Kerl. Ein flotter Typ …«
      Die Tische standen verlassen. Die ganze Gesellschaft war beim Tanz im Schuppen. Eine Menge Zuschauer, die sich nach und nach eingefunden hatte, schaute, in der Dunkelheit selbst kaum sichtbar, jenen zu, die sich nach Herzenslust vergnügten.
      Champagnerpfropfen sprangen.
      »Komm, laß uns einen Cognac nehmen«, sagte James. »Tanzen willst du doch nicht?«
      Seltsam! Was der Bursche getrunken hatte, hätte genügt, fünf normale Männer um den Verstand zu bringen. Ihm aber war fast nichts anzumerken. Er ging mit langsamem Seemannsschritt, ließ Maigret zuerst ins Haus treten und setzte sich in den Sessel des Wirts. Eine abgearbeitete Großmutter wusch das Geschirr, während die Wirtin, wahrscheinlich ihre Tochter und um die Fünfzig, sich anderweitig nützlich machte.
      »Noch sechs Flaschen Champagner, Eugène! Vielleicht schickst du den Kutscher nach Corbeil, um für Nachschub zu sorgen.«
      Ein ländliches, fast ärmliches Interieur, dessen Glanzstück eine Pendeluhr in einem Nußbaumgehäuse war. James streckte die Beine von sich, ergriff die Cognacflasche und füllte zwei Gläser bis zum Rande.
      »Auf dein Wohl!«
      Vom Hochzeitsfest war nichts mehr zu sehen. Man hörte nur den Lärm, der das verstimmte Klavier übertönte. Und hinter der geöffneten Tür ahnte man das schnell dahinfließende Wasser der Seine.
      »Was soll’s?« sagte James verächtlich. »Knutscherei in allen Winkeln, und was sonst noch dazu gehört.«
      Er war etwa dreißig, und man spürte, daß er keiner war von denen, die Dunkelheit zudringlich macht.
      »Ich wette, daß man hinten im Garten schon manches Pärchen aufscheuchen könnte …«
      Plötzlich beobachtete er die über den Abwasch gebeugte Alte.
      »Gib mir ein Tuch«, sagte er zu ihr.
      Und schon war er dabei, Gläser und Teller abzutrock
    nen. Er machte nur dann eine Pause, wenn er einen Schluck Cognac trinken wollte.
      Ab und zu ging jemand an der Tür vorüber. Maigret benutzte einen Moment, in dem James sich mit der alten Frau unterhielt, sich draußen umzusehen. Er hatte noch nicht zehn Schritte zurückgelegt, als jemand ihn um Feuer bat. Es war der Grauhaarige in Frauenkleidern.
      »Danke. Sie tanzen auch nicht?«
      »Niemals.«
      »Das kann ich von meiner Frau nicht sagen. Sie hat noch keinen Tanz
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