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Semenon und die kleine Landkneipe

Semenon und die kleine Landkneipe

Titel: Semenon und die kleine Landkneipe
Autoren: Georges Simenon
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weiterleben will, muß man es sich erträglich machen.«
      Die Unterhaltung kreiste zwar um ein düsteres Thema, aber dank James’ eigenartiger Persönlichkeit kam keine Tragik auf. James setzte all seinen Ehrgeiz daran, einfach zu bleiben. Er schämte sich geradezu, Bewegung zu zeigen, so daß er schließlich der Ruhigste war und nicht begreifen konnte, daß die beiden anderen bestürzt aussahen.
      »Da die Dummheit der Männer keine Grenzen kennt, verfiel ihr eines Tages auch Basso. Mado, keine andere durfte es sein, und so geschah das Unabänderliche. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich die Schuld auf mich genommen und hätte mich so Basso gegenüber ehrlich gemacht … Aber ich war ja, als es geschah, gar nicht anwesend. Dann beging er die Dummheit, sich aus dem Staube zu machen, und ich habe ihm geholfen, so gut ich konnte …«
      Bei diesen Worten schien es James doch in der Kehle zu würgen. Er schwieg eine Weile, ehe er monoton fortfuhr:
      »Wäre es nicht das klügste gewesen, er hätte die Wahrheit gesagt? Na, und was mich betrifft, so bin ich den Dreck nun los. Ganz und gar. Diese Existenz, das Büro, das Café, alles …«
      Seine Frau erwähnte er nicht. Mit ihr verband ihn nichts mehr. Auch nicht das Zuhause in der Rue Championnet, in dem er die Abende mit einem zufällig ergriffenen Buch lustlos verbrachte. Auch nicht die Sonntage in Morsang, an denen er von Gruppe zu Gruppe schlenderte, um einen Trinkkumpan zu finden.
      »Ich werde meine Ruhe haben«, sagte er zum Schluß.
      Im Straflager oder im Gefängnis! Jedenfalls würde er der Notwendigkeit enthoben sein, auf etwas zu warten, was nicht geschah.
      Er würde essen, trinken, schlafen zur bestimmten Zeit, Steine klopfen auf der Landstraße, Matten flechten oder Kotillonorden kleben.
      »Man wird mir wohl zwanzig Jahre geben …«
      Basso sah ihn an. Er konnte wohl kaum den Freund sehen, denn seine Augen waren feucht.
      »Schweig doch!« sagte er, die Hände verschränkend.
      »Warum?«
      Maigret schneuzte sich und versuchte mechanisch, die leere Pfeife in Brand zu bringen.
      Er hatte das Gefühl, nie in einen so tiefen Abgrund der Verzweiflung geblickt zu haben, einer Verzweiflung, die nicht von einem tiefen Dunkel, sondern von einem undurchdringlichen Grau war, phrasenlos und ohne Grimasse. Einer Absinthverzweiflung ohne lindernde Trunkenheit. James berauschte sich nie! Und der Kommissar war sich der Kraft bewußt, die abends seine Schritte zur ›Taverne Royale‹ gelenkt hatte.
      Sie hatten zusammen getrunken, gleichgültige Worte gewechselt, und James hatte dabei gehofft, daß der Augenblick kommen werde, in dem Maigrets Hand sich auf seine Schulter legte. Er spürte den in Maigret wachsenden Verdacht, er nährte ihn und sah ihn Gestalt annehmen. Er wartete …
      »Einen Pernod, Alter?«
      Er nannte ihn du. Denn er liebte in ihm den Freund, der ihm Befreiung bringen würde von sich selbst.

    Während Maigret und Basso einen undefinierbaren Blick austauschten, sagte James, wobei er die Zigarette auf dem weißen Holztisch ausdrückte:
      »Das Schlimme ist nur, daß alles so lange dauert … die Vernehmungen, der Prozeß, das heulende Elend um einen … könnte man doch dem allem entgehen …«
      Ein Inspektor öffnete die Tür.
      »Der Untersuchungsrichter.«
      Maigret streckte James unschlüssig die Hand entgegen, während dieser ihm zuraunte:
      »Empfehlen Sie mich bei ihm und bitten Sie ihn um ein beschleunigtes Verfahren. Ich gestehe alles, was man will. Und verlange nur, daß man mir schnell das stille Eckchen zuweist …«
      Um den Ernst dieser Worte zu mildern, fügte er als eine Art Schlußfolgerung hinzu:
      »Der Kellner in der ›Taverne Royale‹ wird Augen machen. Gehen Sie wieder hin, Kommissar?«
      Drei Stunden später war Maigret in einem Abteil zweiter Klasse auf dem Weg ins Elsaß. An der Marne sah er viele Pinten, die der an der Seine mit ihrem mechanischen Klavier und dem Bretterschuppen glichen.
      Als der Morgen graute und er erwachte, hielt der Zug auf einem kleinen, von Blumengärten flankierten Bahnhof.
      Madame Maigret und ihre Schwester sahen an den Wagen entlang. Alles – der Bahnhof, das Land, die Hügel, das Haus, ja der Himmel selbst strahlte eine Reinheit aus, als wäre er eben erst frisch gewaschen worden.
      »Sieh her, diese Holzschuhe habe ich gestern in Colmar für dich gekauft.«
      Maigret mußte die hübschen gelben
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