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Semenon und die kleine Landkneipe

Semenon und die kleine Landkneipe

Titel: Semenon und die kleine Landkneipe
Autoren: Georges Simenon
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und zu verraten.
      Er war kein Heuchler, kein Schwätzer und wälzte auch sein Versagen nicht auf die Gesellschaft ab.
      »Ich habe verloren«, sagte er bloß.
      Ja, das Spiel war aus. Genauer gesagt: es würde aus sein, wenn die Sonne, die jetzt auf ein Stück der Zellenwand schien, wieder aufging.
      Unwillkürlich unterlief Lenoir eine ahnungsvolle Handbewegung. Während er seinen Marsch durch die Zelle fortsetzte, fuhr er sich mit der Hand über den Nacken, schauderte zusammen, verfärbte sich und sagte mit einem gewissen Galgenhumor:
      »Immerhin, ein merkwürdiges Gefühl …«
      Und plötzlich kommt es bösartig zwischen den Zähnen durch:
      »Wenn wenigstens die anderen, die es verdienten, auch dabei wären!«
      Dabei beobachtete er Maigret, blieb stehen und fuhr brummend fort, als er dann wieder weiterging:
      »Es fällt mir natürlich nicht ein, am letzten Tag noch einen zu verpfeifen. Aber …«
      Der Kommissar blickte ihn nicht an. Er fühlte das Geständnis kommen und kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß schon das kleinste Zeichen von Neugier oder unverhohlenen Interesses genügen würde, den unberechenbaren Lenoir am Sprechen zu hindern.
      »Sie kennen natürlich nicht die Pinte, aber wenn Sie sich je dorthin verirren sollten, dann denken Sie daran, daß einer von den Stammgästen morgen mit mir aufs Gerüst klettern müßte.«
      Er ging noch immer auf und ab. Er konnte nicht ruhig bleiben. Dieses Laufen war wie ein Ventil für das Fieber, das ihn schüttelte.
      »Aber Sie kriegen ihn nicht. Selbst wenn Sie hören, wie die Sache war. Ich sehe sie deutlich vor mir, weiß selbst nicht, wieso … Eine Jugenderinnerung … Ich war vielleicht sechzehn Jahre alt … Zusammen gingen wir in die Tanzlokale, und zusammen machten wir die kleinen Einbrüche. Der andere wird, wenn er noch lebt, in einem Sanatorium sein. Er spuckte schon damals Blut.«
      Ob er jetzt mehr sagen würde, um sich selbst zu beweisen, daß er noch lebte, daß er noch dazugehörte?
      »Eines Nachts, es wird gegen drei Uhr morgens gewesen sein, gingen wir durch die … Den Namen der Straße sage ich Ihnen nicht … Also, wir gingen durch eine Straße. Plötzlich wurde eine Haustür geöffnet, vor der ein Auto hielt … Ein Mann kam heraus und schob einen anderen vor sich her. Nein, schieben ist nicht das richtige Wort. Stellen Sie sich vor, jemand würde eine Gliederpuppe am Arm führen … Er setzte sie in den Wagen, kletterte hinter das Steuer. Wir warfen uns einen Blick zu, und schon saßen wir hinten drauf … Ich hieß damals ›die Katze‹, das sagt alles … Und so fuhren wir von einer Straße in die andere. Der Kerl am Steuer schien sein Ziel nicht finden zu können … Schließlich machte er halt. Wissen Sie wo? Am Kanal Saint-Martin … Dann riß er die Tür auf und knallte sie wieder zu. Und schon war es geschehen. Ein Toter mehr in der Brühe!
      Das klappte wie am Schnürchen. Die Wasserleiche hatte vermutlich schwere Gegenstände in den Taschen, denn weg war sie.
      Wir hielten uns im Schatten. Dann wieder rauf auf den Wagen. Wollten uns doch die Adresse des feinen Herrn sichern … An der Place de la République hielt er an und kippte einen Rum in einem Lokal, das noch offen hatte … Dann fuhr er die Karre in die Garage und ging nach Haus … Einen Augenblick später sahen wir seinen Schatten hinter einem erleuchteten Vorhang. Er war dabei, sich auszuziehen …
      Zwei Jahre lang haben wir ihn blechen lassen, Victor und ich … Wir waren Anfänger und schröpften ihn nur sachte … nur immer um einen Hunderter …
      Eines Tages aber war er verblüht, weg, auf Nimmerwiedersehen … Erst jetzt, vor drei Monaten, habe ich ihn zufällig wiedergefunden, in dieser Pinte … er hat mich natürlich nicht erkannt.«
      Lenoir spuckte aus, suchte vergebens nach einer Zigarette und fluchte:
      »Wenn man einen schon dahin gebracht hat, wo ich jetzt bin, sollte man ihn gefälligst rauchen lassen!«
      Der Sonnenfleck unter der Decke war verschwunden. Vom Gang her tönten Schritte.
      »Mag sein, daß ich es ebenso verdient habe wie irgendeiner, aber es läßt sich doch nicht bestreiten, daß der Kerl vom Kanal Saint-Martin morgen dabeisein sollte …«
      Dies brach abrupt aus ihm hervor. Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn. Lenoir mußte sich auf den Rand der Pritsche setzen.
      »Es ist wohl Zeit, mich allein zu lassen …«, stöhnte er. »Nein! Heute lieber
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