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Semenon und die kleine Landkneipe

Semenon und die kleine Landkneipe

Titel: Semenon und die kleine Landkneipe
Autoren: Georges Simenon
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ausgelassen.«
      Maigret fuhr der Gedanke durch den Kopf, ob seine Frau vielleicht die Braut spielte.
      »Ja, und wenn sie dann eine Pause macht, erkältet sie sich.«
      Er seufzte. Das Frauenkleid, in dem er vor Maigret stand, wirkte grotesk zu seinem ernsten Gesicht eines alternden Mannes. Maigret fragte sich, welchen Beruf er wohl ausübte, wie sein Leben normalerweise aussah.
      »Mir scheint, wir sind uns früher schon einmal begegnet«, sagte er auf gut Glück.
      »Ich vermute. Sie kommen mir bekannt vor … Habe ich Sie vielleicht in meinem Wäschegeschäft gesehen?«
      »Sie haben ein Wäschegeschäft?«
      »An einem der großen Boulevards …«
      Seine Frau – wenn sie es war – war jetzt die lauteste von allen. Offensichtlich war sie betrunken, hemmungslos ausgelassen. Sie tanzte mit Basso in einer Haltung, die Maigret veranlaßte, den Kopf abzuwenden.
      »Ja, eine seltsame junge Person«, flüsterte der Ehemann. In seinen Augen war sie also eine junge Person, diese üppige, dreißigjährige Frau mit den sinnlichen Lippen und den schmachtenden Augen, die sich ihrem Kavalier vor aller Welt hinzugeben schien!
      »Wenn sie sich amüsiert, gerät sie ganz aus dem Häuschen.«
      Der Kommissar fragte sich, was den anderen bei diesen Worten wohl bewegen mochte – Wut oder Rührung?
      Eine Stimme ertönte:
      »Die Brautnacht beginnt! Es fehlt nur noch der Bräutigam.«
      Im Hintergrund des Schuppens befand sich ein Kämmerchen. Man öffnete die Tür, die hineinführte, während ein Trupp sich aufmachte, den Bräutigam im dunklen Garten aufzuspüren.
      Maigret beobachtete den wirklichen Ehemann, der dastand und lächelte.
      »Erst das Strumpfband verteilen!« rief jemand.
      Basso übernahm den Raub des ominösen Gegenstands, den er in kleine Stücke zerschnitt, die er dann verteilte. Das junge Paar wurde in das als Brautgemach dienende Kämmerchen geschoben. Die Tür wurde verschlossen.
      »Sie amüsiert sich«, murmelte der Mann. Dann, zu Maigret gewandt: »Sind Sie auch verheiratet?«
      »Ja …«
      »Aber Ihre Frau ist nicht hier?«
      »Sie ist verreist.«
    »Hält sie es auch mit der Jugend?«
      Maigret fragte sich, ob der andere sich lustig machte oder ob er es ernst meinte. Er machte sich von ihm los und ging in den Garten. Er sah das Arbeiterpaar, das sich eng an einen Baum schmiegte.
      In der Küche trocknete James noch immer Geschirr ab, wobei er mit der Alten plauderte und sich ab und an mit einem Cognac stärkte.
      »Was gibt es draußen?« fragte er Maigret. »Hast du meine Frau nicht gesehen?«
      »Nicht daß ich wüßte.«
      Die Zeit verging. Es mochte ein Uhr morgens sein. Man vernahm Stimmen, die von Heimkehr sprachen. Einen hatte das graue Elend befallen. Er stand am Ufer der Seine und übergab sich. Die Braut hatte die Freiheit wieder, und nur noch die Jüngsten hielten beim Tanz aus.
      Einer der Kutscher kam zu James und fragte: »Dauert die Sache noch lange? Meine Alte wartet seit einer Stunde auf mich …«
      Schließlich gab James das Zeichen zur Abfahrt. Unterwegs schliefen einige mit wackelnden Köpfen ein, andere sangen oder lachten weiter, aber die Begeisterung war verflogen.
      Man fuhr an einer Gruppe stilliegender Kähne vorüber. Eine Lokomotive schnaufte. Auf der Brücke ging es wieder im Schritt.
      Die Familie Basso stieg vor der Villa ab. Der Wäschehändler hatte sich schon in Seineport verabschiedet. Eine Frau sagte halblaut zu ihrem betrunkenen Mann:
      »Was du gemacht hast, werde ich dir morgen erzählen. Schweig! Ich will nichts hören.«
      Der Himmel war mit Sternen übersät, die sich im Wasser spiegelten. In Morsang lag schon alles im Schlaf. Händedrücken. Abschiedsworte.
      »Gehst du segeln?«
      »Wir gehen fischen …«
      »Gute Nacht …«
      Eine Zimmerflucht im Gasthaus von Morsang. Maigret fragte James:
      »Gibt es hier ein Zimmer für mich?«
      »Will sehen … Wenn nicht, schläfst du bei mir!«
      Licht in den Fenstern, das Geräusch von Schuhen, die zu Boden fielen und von alten Sprungfedern.
      In einem der Zimmer heftiges, kaum gedämpftes Sprechen. Vielleicht die Frau, die ihrem Mann einiges zu sagen hatte.

    Am nächsten Vormittag gegen elf zeigten sich alle wieder, wie sie wirklich waren. Ein heißer, sonniger Tag. Schwarzgekleidete Mädchen mit weißen Schürzen gingen auf der Terrasse von Tisch zu Tisch und deckten zum Mittagessen
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