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Semenon und die kleine Landkneipe

Semenon und die kleine Landkneipe

Titel: Semenon und die kleine Landkneipe
Autoren: Georges Simenon
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Dämmerung lag über dem Sonnenlicht. Auf dem anderen Seineufer sah man friedliche Villen, deren erleuchtete Fenster durch die Abendschatten strahlten.
      Die Fuhrwerke rollten zuckelnd dahin. Maigret nahm jetzt Bilder in sich auf: da war der Kutscher, den man neckte und der lachend, aber mit wütenden Blicken reagierte, da war ein junges Mädchen, dem es geglückt war, sich so blöde zu schminken, wie es redete, da war ein grauhaariger Herr, der eine alte Dame spielte …
      Das Ganze war ungewöhnlich, auch zu unerwartet. Maigret wußte noch nicht, welchen Kreisen die Teilnehmer angehörten. Es war wie ein Knäuel, das erst entwirrt werden mußte.
      »Die dort ist meine Frau«, verkündete James, indem er auf eine Dicke mit Keulenärmeln zeigte.
      Seine Stimme klang nicht gerade heiter, und seine Augen flackerten böse.
      Es wurde gesungen. Man fuhr durch Seineport. Die Bewohner standen vor den Türen, um das Schauspiel zu genießen, und die Kinder liefen johlend hinter den Fuhrwerken her.
      Die Pferde gingen im Schritt. Man fuhr über eine Brücke. Auf einem Schild war im Halbdunkel zu lesen:

    Eugène Rougier – Weinausschank

    Ein kleines weißes Haus, eingeklemmt zwischen einem Treidelpfad und einer Anhöhe. Die Buchstaben auf dem Schild waren kunstlos und naiv geschrieben. Man hörte Musik, unterbrochen und übertönt von knarrenden Lauten …
      Was mochte es gewesen sein, das den Schlüssel plötzlich einrasten ließ? Maigret hätte es schwerlich sagen können. Vielleicht war es der laue Abend, vielleicht das kleine weiße Haus mit seinen zwei erleuchteten Fenstern, vielleicht der Kontrast zwischen ländlicher Stille und dem Lärm des beginnenden Schauspiels?
      Vielleicht war es das junge Paar, das sich näherte, um die Maskerade zu sehen – er ein Fabrikarbeiter, sie ein üppiges Mädchen in rosa Seide, die Hände in die Hüften gestemmt.
      Das Haus enthielt nur zwei Räume. Rechts hantierte eine alte Frau am Herd. Links konnte man ein Bett erahnen und an der Wand Familienbilder.
      Der Weinausschank lag dahinter, ein großer Schuppen, dessen offene Seite auf den Garten ging. Tische, Bänke, ein Schanktisch. Ein mechanisches Klavier. Lampions.
      Schiffer standen trinkend an der Theke. Ein halbwüchsiges Mädchen bediente das Klavier. Es drehte von Zeit zu Zeit die Kurbel und schob eine kleine Münze in den Schlitz.

    Die Szene belebte sich sehr schnell. Die neuen Gäste waren kaum von den Wagen gestiegen, als sie bereits zu tanzen begannen. Sie rückten die Tische beiseite und bestellten ungeduldig Getränke. Maigret, der James aus den Augen verloren hatte, fand ihn am Schanktisch vor einem Glas Pernod träumend.
      Draußen unter den Bäumen legte ein Kellner die Gedecke auf. Einer der Kutscher seufzte:
      »Hoffentlich dauert das nicht ewig! Schließlich ist Samstag …«
      Maigret war allein. Er hatte Zeit, Eindrücke und Gedanken zu sammeln. Er sah das kleine Haus, aus dessen Schornstein Rauch aufstieg. Er sah die Wagen, den Schuppen, das Liebespaar, den Maskenrummel.
      »Hier also soll das Rätsel sich lösen«, dachte er.
      Die Pinte! War der Name eine Anspielung auf die Ärmlichkeit des Orts oder darauf, daß sich die Pinte in nichts von anderen unterschied?
      Und hier gab es also einen Mörder! War es einer der Teilnehmer an der Maskerade? War es der junge Arbeiter? Oder einer der Schiffer? Oder war es Monsieur Basso? James?
      Elektrisches Licht gab es nicht. Den Schuppen erhellten zwei Petroleum-Hängelampen, andere Lampen standen auf den Gartentischen und unterteilten das Ganze in Licht- und Schattenflecke.
      »Bitte, zu Tisch, die Herrschaften!«
      Doch man tanzte und trank weiter. Die Augen glänzten fiebrig. Einige hatten schnell getrunken. Nach zehn Minuten lag Trunkenheit in der Luft.
      Die Alte aus dem Lokal bediente selber bei Tisch und versuchte, den Erfolg ihrer Gerichte in den Mienen zu lesen, aber niemand schien auf das Essen zu achten. Sie wollten vor allem trinken.
      Ein wirrer Lärm, der das blecherne Plärren des Klaviers übertönte. Die Schiffer betrachteten von der Theke aus die Szene und unterhielten sich weiter über die Kanäle im Norden und den Treideldienst.
      Die Liebespaare tanzten, Wange an Wange, aber sie ließen ihre Blicke nicht von den Tischen, wo die Stimmung immer ausgelassener wurde.
      Maigret kannte niemand. Seine Tischnachbarin war eine Frau mit einer grotesken Maske. Sie trug einen Schnurrbart
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