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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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Gebieten hatte ich als Richterin einen reichen Erfahrungsschatz sammeln können, in familienrechtlichen Fragen hatte ich mich auch als Politikerin engagiert. Meine Freundin Karin Schubert kam im Jahr 2007 als weitere Rechtsanwältin in die Kanzlei. Kennengelernt hatten wir uns in der Politik: Ab 1994 war sie Justizministerin von Sachsen-Anhalt gewesen, 2002 als Justizsenatorin und Bürgermeisterin nach Berlin gekommen. Im Jahr 2009 wechselten wir gemeinsam in eine andere Kanzlei. Dort arbeiten wir beide bis heute mit viel Erfolg.
    So trat ich, die Lehrerinnen– und Soldatentochter, zu guter Letzt doch noch in die Fußstapfen meiner Großmutter Helene, die ich nie kennengelernt habe, von der meine Mutter mir aber viel erzählte. Ich sei ihr so ähnlich, hatte meine Mutter immer gemeint. Großmutter Helene hatte stellvertretend die Peddigrohrfabrik ihres Mannes geleitet – in einer Zeit, in der Frauen dem Mann unterstellt waren und nur wenige eigene Rechte besaßen. Sie war Prokuristin und führte die große Fabrik selbständig und allein über lange Zeiträume. Ich habe dreißig Jahre lang sehr gern als Richterin gearbeitet, aber von meiner Persönlichkeitsstruktur her brauchte ich die Sicherheit einer Position im öffentlichen Dienst nicht. Das weiß ich heute – und die Lust und den Mut zur Selbständigkeit habe ich vielleicht von meiner Großmutter geerbt.
    Grübelei unter dem Motto »Was wäre gewesen, wenn …?« halte ich grundsätzlich für Zeitverschwendung, dennoch erwische ich mich bisweilen bei solchen Gedankenspielen. Dann fällt mir ein: Hätte die schleswig-holsteinische Landesregierung mich zur Präsidentin am Oberlandesgericht in Schleswig bestimmt oder wäre meine Bewerbung als Hamburger Datenschutzbeauftragte erfolgreich gewesen, dann wäre ich wahrscheinlich nicht Justizsenatorin geworden, wäre auch nicht nach Berlin gekommen und würde heute nicht als Rechtsanwältin arbeiten. Vielleicht würde ich stattdessen einer anderen interessanten, erfüllenden Tätigkeit nachgehen. Aber im Rückblick sehe ich: Ich hatte beruflich viel Glück in meinem Leben. Und wenn ich mal Pech hatte, ergab sich daraus letztlich wieder eine positive Entwicklung.

    »Sind Sie nicht die Frau Senatorin?« So werde ich bis heute manchmal auf der Straße angesprochen. »Frau Peschel-Gutzeit? Ja? Wissen Sie was: Sie waren eine richtig gute Senatorin, zu der ich Vertrauen hatte. Ich bin Ihnen sehr dankbar.« Wenn so etwas passiert, bin ich immer ganz verdutzt – und natürlich freue ich mich. Es sind wildfremde Menschen, die sich bei mir bedanken, nachdem ich vor weit mehr als einem Jahrzehnt mein Senatorenamt in Berlin aufgegeben habe. Diese Menschen haben keine Veranlassung, mir zu schmeicheln. Berlin und ich, das scheint einfach zu passen. Auch nach meiner zweiten Ankunft in der Stadt wurde ich dort herzlich aufgenommen.
    Unsere Kanzlei befindet sich in West-Berlin am Kurfürstendamm, meine Berliner Wohnung liegt im Osten. Jeden Tag durchquere ich die Stadt morgens von Ost nach West und abends in umgekehrte Richtung. Die meisten Berliner bleiben ja am liebsten stets in »ihrem Kiez«. Mir ist es wichtig, die Stadt in ihrer Gesamtheit zu erfassen, ihre verschiedenen Seiten zu erleben. Parallel habe ich eine Wohnung in meinem Hamburger Haus behalten. Ein– bis zweimal im Monat verbringe ich dort einige Tage, besuche Veranstaltungen, treffe mich mit meiner Schwester und mit Hamburger Freunden. Außerdem übernehme ich gelegentlich Mandate in Hamburg. So praktiziere ich mein Ost-West-Erkundungsspiel auch im größeren Maßstab und genieße es sehr. Solange meine Gesundheit es zulässt, möchte ich nicht darauf verzichten.
    Mein Berufsleben beschränkt sich nicht auf die Arbeit als Anwältin – wie seit jeher gehe ich Nebentätigkeiten nach, weil sie mir Freude bereiten und mich interessieren. Seit 1976 arbeite ich in der Anwaltsfortbildung, zum Beispiel an der Deutschen Anwalt Akademie und anderen Instituten. Dort erkläre ich entweder Anfängern die Grundzüge des Familienrechts oder bilde bereits erfahrene Juristen fort. Diese Arbeit macht mir Spaß, weil ich gern mit jüngeren Juristen zusammen bin und gern unterrichte. Wie meine Mutter, meine Großmutter und meine Schwester habe ich wohl eine pädagogische Ader. Außerdem zwingt mich die Lehrtätigkeit, selbst immer auf dem neuesten Stand zu sein und die jüngsten Entscheidungen zu kennen, es ist eine Maßnahme der Selbstdisziplinierung und Selbstfortbildung. Auch
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