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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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Zum Wohle!
    »Das können Sie vergessen!«, sagte der Präsidialrichter, dem ich soeben meinen Wunsch unterbreitet hatte, an die Pressekammer zu wechseln. »Der Vorsitzende der Pressekammer nimmt keine Frauen.«
    Es war im ereignisreichen Jahr 1968, ich arbeitete als Richterin an der 23. Zivilkammer des Hamburger Landgerichtes und war zuständig für Feld-, Wald- und Wiesenangelegenheiten. Das heißt, alles, was nicht in ein Spezialgebiet fiel, landete bei uns: Konflikte zwischen Nachbarn und anderen Lieblingsfeinden, Kaufreklamationen, nicht zurückgezahlte Darlehen und viele ähnliche Themen, über die man sich im täglichen Leben streiten kann. Es hing also sehr stark vom Zufall ab, ob man interessante Fälle bekam oder ob alles eher durchschnittlich war. Nachdem ich dort ein Jahr lang gearbeitet hatte, bekam ich Lust auf etwas anderes, und die Pressekammer reizte mich besonders. Dort ging es um Themen wie die Verletzung des Persönlichkeitsrechtes, Verletzung des Ehrenschutzes, um die Veröffentlichung von Gegendarstellungen – höchst spannende Angelegenheiten. Zumal Hamburg zu jener Zeit die bundesdeutsche Medienhauptstadt war; hier wurden der Stern und der Spiegel gemacht, damals die wichtigsten Printmagazine, aber auch die Bild- Zeitung; im Bereich des Fernsehens die Tagesschau und politische Sendungen wie Panorama . Im Zuge der sozialen Umwälzungen der 68er-Zeit war natürlich auch in den Medien eine Menge los, zudem griffen der Axel-Springer-Verlag und andere Medienhäuser sich gegenseitig an. Zwei Freundinnen von mir hatten sich als Anwältinnen auf Medienrecht spezialisiert, und wenn sie von ihrer Arbeit erzählten, hörte ich immer gebannt zu. Als Juristin und gerade auch als Richterin im Bereich Medienrecht, so stellte ich mir vor, nahm man an gesellschaftspolitischen Ereignissen teil. Das interessierte mich, und deshalb wollte ich mich bewerben.
    Zunächst informierte ich meinen Direktor, den Vorsitzenden der 23. Kammer. Er war ein sehr netter Kollege und zeigte sich sofort verständnisvoll; er sagte: »Natürlich sollten Sie wechseln, Sie sind eine junge Richterin und müssen verschiedene Erfahrungen sammeln. Bitte versuchen Sie es, ich wünsche Ihnen Erfolg.« Danach führte der Weg zum Präsidialrichter, der zwar nicht über Versetzungen entschied, aber Wünsche entgegennahm und eine Vorauswahl traf. »Das können Sie vergessen. Der Vorsitzende der Pressekammer nimmt keine Frauen.«
    Es war beileibe nicht das erste Mal, dass ich eine solche Aussage hörte – und trotzdem machten mich Worte wie diese immer wieder ratlos. Seit fast zwanzig Jahren war das Grundgesetz in Kraft, das die Gleichheit und die Gleichberechtigung aller Menschen in der Bundesrepublik Deutschland festschrieb. Für mich persönlich war die Gleichwertigkeit der Geschlechter von klein auf eine Selbstverständlichkeit gewesen. In meiner Kindheit und Jugend, während des Zweiten Weltkriegs und der frühen Nachkriegszeit, hatte ich in einem weitgehend männerlosen Umfeld gelebt, in dem Mädchen und Frauen den Alltag allein meisterten – notgedrungen, aber erfolgreich. Danach war die Gesellschaft zum Patriarchat zurückgekehrt, und dieser Zustand hält in weiten Bereichen bis heute an. Bis 1977 waren verheiratete Frauen sogar per Gesetz dazu verpflichtet, den Familienhaushalt zu führen. Das Recht auf Erwerbstätigkeit wurde ihnen gesetzlich nur zugebilligt, »soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar« war. Und über jene »Vereinbarkeit« urteilte der Ehemann. Nur mit seiner Zustimmung durfte eine verheiratete Frau erwerbstätig sein. Manche Arbeitgeber verlangten bei der Einstellung einer Frau die schriftliche Einverständniserklärung des Ehemanns.
    Ich selbst hatte allerdings schon vor meiner Eheschließung zu arbeiten begonnen – seit 1960 war ich als Richterin tätig, 1962 hatte ich einen Kollegen geheiratet. Im Jahr 1968, als es hieß, die von mir gewünschte Versetzung könne ich aufgrund meines Geschlechtes »vergessen«, war gerade das Gesetz zur Einführung von Teilzeitarbeit und Familienurlaub für Beamtinnen und Richterinnen in Kraft getreten. Zuvor hatten diese Frauen ihren Beruf aufgeben müssen, wenn sie als Mütter nicht Vollzeit arbeiten wollten oder konnten. Das Gesetz wird in Fachkreisen mit einem Augenzwinkern auch als »Lex Peschel« bezeichnet, denn ich hatte es initiiert und zusammen mit Unterstützern und Unterstützerinnen gegen zum Teil heftigste Widerstände durchgesetzt. Es war ein
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