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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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nicht Mitglied der SPD und hatte auch schon mal FDP gewählt. »Aber wenn Sie meinen, dass ich politisch eher links stehe, haben Sie recht.«
    Nach einigen weiteren Sätzen erhob er sich, ich erhob mich ebenfalls.
    Engelschall, knurrend: »Na ja, okay, wir können es ja mal versuchen.«
    Ich, freundlich: »Darf ich das dem Präsidialrichter mitteilen?«
    Er: »Ja, meinetwegen.«
    Ich: »Vielen Dank, auf Wiedersehen.«
    Im Januar 1969 kam ich zu Engelschall an die Pressekammer.
    Dass er mich prompt zum Sherry einlud, damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Als ich zu ihm ging und sagte: »Ihnen kann geholfen werden«, war meine Idee, ihn herauszulocken – wie beim Tennis machte ich einen Aufschlag, um zu schauen, ob und wie er den Ball zurückspielte. Wäre ich wutentbrannt zu ihm gelaufen und hätte mich laut aufgeregt – »Sie nehmen keine Frauen, das ist unmöglich!« –, dann hätte ich sein Vorurteil bestätigt und ihm zugleich einen Vorwand gegeben, mich kurzerhand vor die Tür zu setzen. Nein, nicht Empörung war mein Beweggrund, ich wollte keine Kriegserklärung abgeben; sondern ich wollte in erster Linie herausfinden, ob das, was ich gehört hatte, der Wahrheit entsprach. Als ich es herausbekommen hatte, konnte ich reagieren – sachlich und bestimmt: Ich akzeptiere Ihre Haltung nicht, und jetzt müssen Sie sich damit auseinandersetzen. So bin ich oft verfahren im Leben, in ganz unterschiedlichen Situationen: Es gibt hier zwei Meinungen, die sich gegenseitig ausschließen, ich akzeptiere Ihre nicht, Sie akzeptieren meine nicht – und nun lassen Sie uns zusehen, wie wir aus dieser Pattsituation herauskommen. Also eine gänzlich andere Haltung als etwa: Dem zeige ich es jetzt!
    Zum Glück brachte mich die Sherry-Einladung nicht aus der Fassung; innerlich war ich verblüfft, aber äußerlich blieb ich ganz höflich. Heute weiß ich, dass Engelschall sich erst einmal Luft und Zeit verschaffen wollte – die brauchte er wie viele andere Männer auch, die mit ihrer Frauenfeindlichkeit konfrontiert werden. Es wäre ihm sehr schwergefallen, mir ohne Umschweife ins Gesicht zu sagen: »Reden Sie keinen Unsinn, ich nehme keine Frauen!« Er wollte jedoch auch nicht sagen: »O ja, natürlich, ich nehme Sie.« Deshalb der Sherry – mit dem er sich de facto noch mehr in Bedrängnis brachte. Jemandem, den ich zum Sherry einlade, kann ich schlecht sagen: »Wissen Sie was, Ihre Visage passt mir nicht.«
    Später erzählte Engelschall oft die Geschichte unserer ersten Begegnung, auch in größeren Runden. Das war eine seiner vielen positiven Eigenschaften: Er konnte über sich selbst lachen. Irgendwann, sehr viele Jahre nach der Sherry-Begebenheit, haben wir uns richtig angefreundet und blieben gute Freunde bis zum Schluss. Leider lebt Manfred Engelschall nicht mehr.
    Er hatte etwas, das die Juristen vornehm »Judiz« nennen, was aber nichts anderes bedeutet als Gerechtigkeitsempfinden. Engelschalls Judiz war sehr ausgeprägt, das schätzte ich besonders an ihm. Es hielt mich aber nicht davon ab, ausgiebig mit ihm zu streiten. Wenn wir berieten, waren wir oft vollkommen unterschiedlicher Meinung, und wenn er keine Lust mehr zum Diskutieren hatte, rief er: »Jetzt ist aber Schluss!«, und warf einen Kugelschreiber nach mir oder eine Zigarettenschachtel, damals rauchten ja noch alle. Einmal nahm er einen Kommentar in die Hand, ein dickes Buch, und drohte: »Wenn Sie jetzt nicht aufhören, dann kriegen Sie dieses Buch an den Kopf!« – »Nur zu«, sagte ich seelenruhig, »Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich deshalb meine Meinung ändere?« Er war zwar der Vorsitzende und zehn Jahre älter als ich, doch als Beisitzerin war ich ebenso unabhängig wie er. Wenn meine Argumente stimmen, lasse ich mich nicht einschüchtern. Natürlich bekam ich kein Buch an den Kopf, aber die Anekdote sagt viel aus über Engelschalls und mein Verhältnis zueinander und über unser beiderseitiges Selbstverständnis. Auch davon erzählte er später oft. »Diese Person war so obstinat. Einmal hätte ich ihr fast einen Kommentar an den Kopf geworfen!«
    Zusammengearbeitet haben wir nur etwas mehr als ein Jahr, dann brachte ich mein drittes Kind zur Welt, meine Tochter Andrea. Als ich Engelschall über die Schwangerschaft informierte, kommentierte er natürlich: »Hab ich doch gleich gesagt!« Worauf ich strahlend entgegnete: »Das ist das fruchtbare Klima an dieser Kammer.«
    Engelschall verhielt sich im weiteren Verlauf loyal und
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