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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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ich meinen kleinen eigenen Lore-Balkon bekam. Darauf stand eine kleine Sandkiste, die wir mit Erde füllten, sodass ich Radieschen und andere Pflanzen züchten konnte. Außerdem gab es dort Behältnisse, in denen ich Regenwürmer aufzog. Es war mein Paradies, etwas Schöneres konnte ich mir nicht vorstellen. Da saß ich auf dem Balkon als kleine Gärtnerin und hatte nicht das geringste Interesse daran, mich den brüllenden Kindern unten auf der Straße anzuschließen.
    Da ich mit fünf Jahren bereits lesen konnte, nahm ich auch gern ein Buch mit auf den Balkon. Das allererste Buch, das ich gelesen habe, hieß Neumanns bauen sich ein Haus . Später lachten meine Mutter, meine Schwester und ich oft über diesen für mich höchst symbolischen Buchtitel. Denn schon in früher Jugend war mir klar: Ich wollte später ein eigenes Haus haben; einen qualifizierten Beruf, den ich ohne Unterbrechungen ausüben würde, mehrere Kinder. Das fand ich selbstverständlich, ein anderes Leben kam für mich nicht in Frage. Nur ein Mann tauchte in meiner Vorstellung nicht auf. Eine Ehe, die diesen Namen verdiente, hatte ich in meiner Kindheit und Jugend nicht beobachten können. Echte Partnerschaft ebenso wenig.
    Geboren wurde ich 1932. Als Kind war ich wohl ziemlich merkwürdig, wie meine Mutter später berichtete. In meinen ersten zwei Lebensjahren sprach ich kein Wort, um dann gleich komplette Sätze zu formulieren. »Selber schuld, ich aufpassen muss!« Diese Äußerung soll ich im Alter von etwa zweieinhalb Jahren gemacht haben, nachdem ich wieder einmal hingefallen war. Da ich lieber nach oben guckte und um mich herum als auf den langweiligen Weg, stolperte ich oft, schlug mir die Knie auf und riss Löcher in meine Strümpfe. Meine Mutter hatte immer ein Paar Ersatzstrümpfe für mich in der Handtasche.
    Langsam, still, unpünktlich, gern für mich allein und sehr, sehr verträumt: So war ich als Kind. Auch in der Schule träumte ich am liebsten vor mich hin, dachte über die Welt nach, war in Gedanken überall, nur nicht bei dem Stoff, der gerade durchgenommen wurde. Da ich eine schnelle Auffassungsgabe besaß, bekam ich trotz meiner mangelnden Aufmerksamkeit keine Schwierigkeiten. Ab und an schaute ich in die Bücher, verstand alles und hatte dann wieder viel Zeit zum Träumen.
    Meine Mutter hatte meistens Geduld mit mir, verzieh mir meine Träumereien, meine Langsamkeit und Unpünktlichkeit. Nur manchmal, wenn ich wieder ganz in mich gekehrt war und nichts mitbekam, wenn sie auf mich wartete und ich mich nicht rührte, dann platzte ihr doch der Kragen. »O nein, Lore, nun komm bloß endlich!« Woraufhin ich sie nur anstarrte und nicht wusste, was sie von mir wollte. Solche Kinder kann man schwer erziehen. Eigentlich sind sie ja lieb, sie tun nichts Böses, sie tun wenig außer träumen.
    Obwohl ich kein »pflegeleichtes« Kind war, förderte und bestärkte mich meine Mutter, wo und wie sie nur konnte. Vielleicht wünschte sie sich manches Mal, dass ich mich anders verhielte. Aber sie versuchte nicht, mich zu ändern, sondern unterstützte konsequent das, was mein Wesen ausmachte und meinem Wesen entsprach. Sie war die prägendste Person in meiner Kindheit und Jugend. Immer war sie da, kümmerte sich liebevoll um meine vier Jahre ältere Schwester Ursula und mich.
    Ganz anders unser Vater, der weder Vorbild noch Erzieher sein konnte, da er fast nie zu Hause war. Als Offizier wurde er oft versetzt, lebte meist weit entfernt von Frau und Kindern und kam uns nur gelegentlich besuchen. Im Krieg sahen wir ihn viele Jahre nicht, anschließend war er lange in Gefangenschaft.
    Ich erinnere mich, dass ich als Kind sehr stolz auf meinen Vater war. Seine Uniform fand ich hinreißend, und gingen wir zusammen über die Straße, grüßte ausnahmslos jeder. Alle Männer standen stramm, rissen die Hände an die Hosennaht oder an die Schirmmütze. Donnerwetter! So was beeindruckt ein Kind. Ohne es genau einordnen zu können und ohne Worte dafür zu kennen, empfindet ein Kind in solchen Situationen, was für eine Machtstellung der Vater hat. Und es spürt, dass Macht etwas Erstrebenswertes ist.
    Seine Macht als Familienoberhaupt war für meinen Vater allerdings begrenzt. Und er war klug genug, um zu wissen, dass unwillkommene Anordnungen wenig Erfolg zeitigen, wenn man ihre Durchführung nicht kontrollieren kann. Also trat er in erster Linie als liebevoller und angenehmer Vater auf. Er brachte Geschenke mit, erzählte lustige Geschichten. Zum
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