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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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aufzunehmen. In den folgenden Wochen und Monaten erreichten mich neun weitere Angebote von Berliner Kanzleien. Die Angebote freuten und interessierten mich, ihre Vielzahl überraschte mich. Nie hatte ich öffentlich bekundet, nach meiner Zeit als Justizsenatorin den Anwaltsberuf ergreifen zu wollen. Die Altersobergrenze im öffentlichen Dienst hatte ich jedoch bereits um einige Jahre überschritten, als Richterin konnte ich schon deshalb, aber auch aus Überzeugungsgründen nicht mehr arbeiten. Und wer mich auch nur ein bisschen kannte, konnte sich wohl denken, dass ich meine Hände künftig nicht in den Schoß legen würde. Sobald feststand, dass Ronald Schill Senator und Zweiter Bürgermeister meiner Heimatstadt werden sollte, fasste ich den Entschluss, Hamburg zu verlassen.
    Im Oktober 2001 wählten die Berliner Bürger ihr Abgeordnetenhaus, der neue und alte Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit fragte, ob ich Lust hätte, erneut in den Berliner Senat zu kommen. Ich freute mich über die Anerkennung, die in diesem Angebot lag, lehnte aber dennoch ab, weil ich meinte und meine, mehr als zehn Jahre in dem aufregenden, aber anstrengenden Amt als Justizsenatorin seien genug. »Es gibt ein Leben nach der Politik«, erwiderte ich deshalb lächelnd und handelte dementsprechend.
    Im Laufe mehrerer vergangener und folgender Jahre schlugen SPD-Politiker mir vor, als Bundestagsabgeordnete zu kandidieren – zum ersten Mal war es 1993 geschehen, als die SPD in Hamburg die absolute Mehrheit verlor und meine erste Amtszeit als Senatorin endete. Auch diesen Angeboten bin ich nicht gefolgt, denn im Bundestag hätte ich in gewisser Weise noch einmal von vorn anfangen müssen. Um in wichtigen Ausschüssen mitarbeiten und etwas bewirken zu können, muss man sich als Bundestagsneuling in der Regel erst einmal profilieren, vielleicht zwei bis drei Legislaturperioden lang, also acht bis zwölf Jahre. Diesen Plan zu verfolgen wäre angesichts meines Alters realitätsfremd gewesen.
    Wie sollte es beruflich für mich weitergehen? Ich war unschlüssig. Nur eines wusste ich mit Sicherheit: Ein Rückzug in den Ruhestand kam nicht in Frage. Ich habe immer gern gear-beitet, ich war und bin geistig und körperlich in der Lage, etwas zu leisten, meine Arbeitsfähigkeit und Energie waren 2001 die gleichen wie 1990 oder 1970 – und sind es heute immer noch.
    Während ich gerade dabei war, meine beruflichen Möglichkeiten und Wünsche zu ergründen, ergab es sich, dass Frau Professor Barbara Schaeffer-Hegel mich anrief und nach meinem Befinden fragte. Schaeffer-Hegel hatte die EAF gegründet, die Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin. Diese Institution widmet sich der Förderung und Fortbildung des weiblichen Führungskräftenachwuchses. Beim Aufbau der Strukturen hatte ich ihr zur Seite gestanden, heute bin ich Ehrenmitglied im Vorstand des Fördervereins der EAF. Ich erzählte Frau Schaeffer-Hegel von meiner Situation, die sie sofort verstand. Sie ist nur wenige Jahre jünger als ich und hatte ebenfalls noch lange nicht vor, ein gemütliches Leben als Pensionärin zu führen.
    Kurz darauf rief sie mich erneut an. »Ich denke, du solltest ein Coaching machen, um deinen weiteren beruflichen Weg zu finden«, riet sie mir. Die Idee fand ich ungewöhnlich, aber das Ungewöhnliche hat mich bekanntlich häufig gereizt, sodass ich mich für die Anregung bedankte und sagte, ich wolle darüber nachdenken. »Gut. Und da du uns beim Aufbau der Akademie so geholfen hast, werden wir dir das Coaching schenken«, fuhr Barbara Schaeffer-Hegel fort. Das Geschenk bestand aus einer mehrtägigen Beratung bei einem sehr guten weiblichen Coach in Freiburg, auch den Aufenthalt in der Stadt, die ich schon immer so sehr gemocht hatte, schenkte mir die EAF. Ich war sehr gerührt.
    Am Ende des Coachings stand der Entschluss, Rechtsanwältin zu werden, es zumindest zu versuchen. Gedacht, getan: Im Jahr 2002 machte ich mich zum ersten Mal im Leben selbständig, im zarten Alter von 69 Jahren – »in dem andere Leute die Prospekte für Seniorenheime wälzen«, wie eine Freundin von mir sagte. Es war kein finanzielles Wagnis, denn ich hatte ja eine über Jahrzehnte erarbeitete Versorgung aus meinem Richterinnen– und Senatorinnendasein. Trotzdem wäre es eine bittere Erfahrung gewesen, zu scheitern.
    Ich schloss mich einer renommierten Kanzlei im Berliner Westen an und spezialisierte mich auf das Familien– und das Erbrecht. Auf beiden
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