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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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für den BGB-Kommentar Staudinger arbeite ich weiterhin, und zwar nicht nur als Autorin, sondern seit den neunziger Jahren auch als Bandredaktorin wie mein Freund Helmut Engler aus Freiburg. Das heißt, ich betreue andere Autoren und prüfe deren Texte auf Übereinstimmung oder Abweichung voneinander.
    Wann und wie ich meinen wohlverdienten Unruhestand in einen Ruhestand verwandle, weiß ich nicht genau. Ich habe verschiedene Ideen, habe Szenarien entwickelt sowohl für einen allmählichen Ausklang als auch für einen klaren Schlussstrich. Eine Entscheidung getroffen habe ich noch nicht. Wieder einmal gibt es keine Vorbilder, an denen ich mich orientieren könnte. Welche Frau hat vor mir in meinem Alter noch in Vollzeit gearbeitet? Es sind nur sehr wenige. Aber vielleicht muss ich mir über den Ausstieg ja auch gar nicht weiter den Kopf zerbrechen. Vielleicht nimmt mir das Schicksal die Entscheidung ab.
    Manchmal höre ich in Kollegenkreisen den Vorwurf, ich nähme jungen Anwälten oder Anwältinnen die Arbeit weg. Das ist ein sehr schwerwiegender Vorwurf, denn ein Mensch, der gewohnheitsmäßig anderen Menschen etwas wegnimmt, also stiehlt, wäre verachtenswürdig. Zum Glück lässt sich der Vorwurf leicht entkräften: Ein Mandant, der sich an mich wendet, entscheidet sich bewusst für eine nicht mehr junge Juristin, die dreißig Jahre als Richterin und zehn Jahre als Rechtspolitikerin tätig war und jetzt seit über zehn Jahren als Rechtsanwältin praktiziert. Alle meine Mandanten wenden sich auf Empfehlung an mich, die meisten informieren sich zusätzlich im Internet, bevor sie zu mir kommen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass solch ein Mandant sich an eine junge Anfängerin wenden würde, wenn ich nicht zur Verfügung stünde. Denn gerade auf dem Gebiet des Familien– und Erbrechts kommt es – außer auf juristisches Können – in großem Umfang auf menschliche Erfahrung an. Mir liegt es sehr am Herzen, dass hochqualifizierte junge Anwälte und Anwältinnen nachwachsen, deshalb habe ich jahrzehntelang an Universitäten gelehrt und bilde bis heute den Nachwuchs fort. Ich möchte, dass talentierte und tüchtige junge Juristen und Juristinnen Erfolg haben, deshalb berate und unterstütze ich sie, wie und wo ich nur kann. Von Konkurrenz kann keine Rede sein.
    Nach meiner Beobachtung sehen sich erfolgreiche ältere männliche Juristen, die im Anwaltsberuf tätig sind, weit weniger mit dem Vorwurf konfrontiert, sie nähmen Jüngeren die Arbeit weg. Ein erfahrener, renommierter Rechtsanwalt von siebzig oder achtzig Jahren gilt meist als ehrwürdige Autorität und genießt hohes Ansehen. Seine Leistungen und Leistungsbereitschaft werden geehrt und bewundert. Die Aufforderung, jetzt aber endlich mal Platz zu machen für Jüngere, hört solch ein männlicher Anwalt nach meinem Eindruck selten oder nie – im Unterschied zu den wenigen weiblichen Anwälten, die sich in einer vergleichbaren Stellung befinden. Vielleicht – hoffentlich – ändert sich das, wenn Anwältinnen in größerer Zahl in diese Altersgruppe aufrücken.
    Was ich in letzter Zeit deutlich reduziert habe, sind die vielen Ehrenämter. Ich war Vorsitzende und Präsidentin vieler Vereine, Kuratorien, Stiftungen – und habe dort schon früh gesagt: »Jetzt müssen auch mal die Jüngeren ran!« Dann hieß es oft: »Aber Sie sind bekannt, Sie haben einen Namen und können mehr erreichen.« Das ist für mich kein schlüssiges Argument. Andere müssen sich beizeiten auch einen Namen erarbeiten, und wenn sie den Vorsitz in einem großen Verein gut ausfüllen, können sie gerade dadurch Bekanntheit erlangen. Nie habe ich die höchstmögliche Dauer eines Vorsitzes ausgenutzt. Schon beim Deutschen Juristinnenbund sagte ich 1981, nachdem ich vier Jahre lang Erste Vorsitzende gewesen war: »Jetzt sucht euch bitte eine neue Vorsitzende ; in zwei Jahren wird die Suche nicht leichter.« Eine Legislatur dauert dort zwei Jahre, die Erste Vorsitzende darf bis zu zweimal wiedergewählt werden, also insgesamt sechs Jahre amtieren. Oft werden solche Regelungen missverstanden, oft bleiben die Vorsitzenden bis zum letztmöglichen Moment im Amt. Ich finde es wichtig, zu erkennen: Jeder Mensch ist ersetzbar. Beim Deutschen Juristinnenbund führten wir dann die Funktion der Past Präsidentin ein. Das heißt, die jeweils vorangegangene Präsidentin steht ihrer Nachfolgerin zwei Jahre lang beratend zur Seite – die Amtsbezeichnung »Präsidentin« ersetzte die der Ersten
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