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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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Vorsitzenden.

    Es war kurz vor Beginn einer Sitzung im Berliner Senat. Ich betrat den Raum, setzte mich an den Tisch, ein wenig in Eile, wohl auch etwas »angefasst«, ich hatte mich über irgendetwas geärgert. Mir gegenüber saß Elmar Pieroth von der CDU, Berliner Wirtschaftssenator seit 1995. »Frau Lore, was machen Sie denn für ein Gesicht?«, fragte er mich über den Konferenztisch hinweg. »Ach, Herr Elmar, wenn ich Gesichter machen könnte, hätten Sie ein anderes!«, gab ich etwas entnervt zurück. Schweigen im Saal, bis Herr Pieroth zu lachen begann, erst ein bisschen stockend, dann laut und fröhlich. Und ich lachte noch lauter.
    Elmar Pieroth und ich sprachen uns seit einiger Zeit mit Vornamen an, dazu mit Sie und Herr und Frau, das hatte sich so ergeben. Die Anrede war nichts Ungewöhnliches, wohl aber meine Frechheit. Auf seine sicherlich nicht böse gemeinte, aber trotzdem unpassende Frage »Was machen Sie für ein Gesicht?« konnte ich nur mit einer humorvollen Frechheit kontern. Humor ist eine wunderbare Waffe, harmlos und dennoch wirksam. Ein nur halbwegs schlagkräftiger Scherz verspricht oft mehr Erfolg als eine allzu empfindliche Reaktion.
    Wer mich beleidigen möchte, hat es ohnehin schwer. Denn die Entscheidung, von wem und in welcher Weise ich mich beleidigen lasse, liegt allein bei mir. Ich finde, es lohnt nur sehr selten, Beleidigungen an sich heranzulassen. Meistens prallen sie an mir ab. Wenn nicht, sage ich: »Sie scheinen sehr verärgert zu sein. Bitte erklären Sie mir doch, warum, damit wir das Problem lösen können.« Oder: »Weshalb zeigen Sie so wenig Respekt? Habe ich Sie verletzt? Das täte mir leid! Wofür muss ich mich entschuldigen?« Das alles mag vielleicht arrogant wirken, ist aber meines Erachtens ein lösungsorientierteres Verhalten, als beispielsweise verbal um sich zu schlagen oder sich zurückzuziehen.
    Die teils heftigen Gewitter, durch die ich in meinem Leben gegangen bin, haben mich gelehrt, möglichst gelassen zu bleiben. Einmal ließ jemand im beruflichen Umfeld einen derartigen Hagel an Frechheiten auf mich herniedergehen, dass ich still ausharrte, bis ihm die Luft ausging. Dann schaute ich ihm tief in die Augen und sagte: »Ich denke, Ihr Redeschwall hat Sie sehr erleichtert, jetzt geht es Ihnen bestimmt gut. Vielleicht geht es Ihnen nicht mehr ganz so gut, wenn Sie erfahren: Keines Ihrer Worte interessiert mich.« Ich verabschiedete mich freundlich, drehte mich um und ging. So macht man sich keine Freunde, aber mit einem Menschen wie jenem möchte ich auch nicht befreundet sein.
    Als Richterin in Zivilprozessen musste ich immer damit rechnen, dass mir am Ende ein Teil feindselig gesinnt war – nämlich der Teil, der verlor. Sehr oft versuchte ich, einen Vergleich zu schließen, also darauf hinzuwirken, dass die streitenden Parteien sich einigten. Damit der Vergleich gelang, musste ich beide Seiten davon überzeugen, auf einen Teil ihrer Ansprüche zu verzichten. Wurde der Streit beigelegt, empfand ich das als Erfolg. Aber ich wusste, dass mir niemand dafür danken würde. Eine alte Richterweisheit besagt: »Ein Vergleich ist dann gelungen, wenn beide Parteien schimpfend den Gerichtssaal verlassen.« Dann hat man eine gute Lösung gefunden.
    Auch heute, als Rechtsanwältin, muss ich immer damit rechnen, mir Feinde zu machen, zum Beispiel die gegnerische Partei. Das ist nicht schön, ich habe nicht gern Feinde. Aber sie existieren, es geht nicht anders. Diese Haltung kann man, wie ich glaube, auch als Nicht-Jurist erlernen. Weniger Harmoniebedürfnis, mehr Selbstwertgefühl, mehr Gerechtigkeitsstreben: Mit Hilfe dieser »Formel« gelingt es meiner Erfahrung nach den Menschen – und vor allem den Frauen –, ihre Rechte besser wahrzunehmen und die Gesellschaft voranzubringen. Umso besser, wenn dann, als Salz in der Suppe, noch eine gute Prise Humor dazu kommt.
    Wenn ich Frauen rate, im Beruf den althergebrachten Regeln der Männerwelt zu folgen, also notwendige Konflikte anzunehmen und auszufechten, Hierarchien zu akzeptieren sowie ihr Privat– und Gefühlsleben vom Beruf zu trennen, erlebe ich oft die Reaktion: Soll die Berufswelt denn von einer Männerkultur beherrscht bleiben? Warum müssen wir, wenn wir in diese Welt eindringen, unsere weibliche Kultur verleugnen? – Die Antwort ist meines Erachtens ganz einfach: Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen, in der richtigen Reihenfolge.
    Schritt eins: Bestehenden Regeln folgen. Schritt zwei: Das Spiel
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