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Seitensprung ins Glück

Titel: Seitensprung ins Glück
Autoren: Mary E Mitchell
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würdig erweisen, packte er anschließend eine Tasche und ging.
    Heute Abend kommt meine Mutter von der anderen Seite der Stadt zum Essen herüber, mein erster Gast seit Teddys Abgang. Sie kommt allein, mein Vater bleibt bei Schmorbraten und Bier zu Hause. Wahrscheinlich will sie mal wieder ein Gespräch von Frau zu Frau mit mir führen, das kenne ich schon. Auf dem Herd in der kleinen Küche meiner Wohnung köchelt eine leckere Spaghettisoße vor sich hin. Nach einem Rezept meiner Schwiegermutter, was meiner Mutter zweifellos missfallen wird.
    Aber egal, ich bin froh über ihre Gesellschaft.
    Es ist jetzt exakt acht Tage und drei Stunden her, dass Teddy die kleine Sporttasche von Champion packte – zuletzt hat er noch zärtlich seinen iPod hineingebettet – und unsere Wohnung verlassen hat. Seitdem stelle ich ihn mir in den Armen meiner besten Freundin Inga vor. Wie er in ihrem Bett liegt, in ihrem Schlafzimmer, das ich tausendmal gesehen habe. Die Patchwork-Decke von ihrer Großmutter. Der weiße Lampenschirm aus Korbgeflecht auf dem Nachttischchen. Der dezente Lavendelduft, der aus den Schubladen und dem Wandschrank dringt. Zwischen den Schranktüren hängt ein kleines Holzschild. Ich habe es Inga zu ihrem dreißigsten Geburtstag geschenkt. F wie FREUNDIN, F wie FÜR IMMER, steht darauf. Wenn jetzt abends die Weinflasche mal wieder zur Neige geht, wenn der letzte Schokokeks verdrückt ist und ich mich vollkommen leer geweint habe, dann kommt mir dieses Schild zum Schießen vor. Inga, meine Freundin .
    »Ich konnte dieses dürre Ding noch nie leiden«, schimpfte meine Mutter ins Telefon, nachdem sie spitz bekommen hatte, warum Teddy mich abserviert hatte. Ich konnte spüren, wie aufgebracht sie war, wie sie eine Hand tief in die Tasche ihrer braunen Bundfaltenhose schob und mit der anderen den Hörer umklammerte. »So eine müsste man abknallen«, sagte sie. So grob kann meine Mutter sein, eine richtige Gangsterbraut. Ich fragte mich, was mein Vater wohl dachte, als sie das von sich gab.
    Nachdem ich mich all der vielen Buchstaben in meinem Nachnamen entledigt hatte, sprach mein Vater lange Zeit kein Wort mehr mit mir. Dieses Problem hatte meine Mutter nicht.
    »Plow heißt Pflug!«, schnaubte sie, als ich den neuen Namen zum ersten Mal ins Flurtelefon im Wohnheim hauchte. »Warum nicht gleich Dampfwalze statt Pflug, so wie du das Herz deines Vaters platt rollst?«
    »Ma«, flehte ich, doch durch die Leitung drang nur kaltes Schweigen.
    Ich konnte ihre Gedanken lesen. Verkehrt herum, dachte sie. Immer verkehrt herum .
    Sie nimmt nie ein Blatt vor den Mund, meine Mutter. Sie ist knallhart, trotz ihres zierlichen Körperbaus und ihrer kindlichen Gesichtszüge. Eine Art Donna Reed auf Drogen, eine Shirley Partridge hoch zwei. Sie war zweiundvierzig, als ich geboren wurde. Jetzt ist sie vierundsiebzig und raucht immer noch.
    Während meine Freunde nette Siebziger- und Achtzigerjahre-Kindheiten durchlebten, wuchs ich in einem Albtraum im Stil der Fünfziger auf, mit Thunfischkonserven und Wackelpeter, in dem Brocken wabbelten, und mit einer Mutter, die zu glauben schien, dass Miracel Whip von Kraft einfach zu allem passte. Wenn man meiner Tante Sophie glauben durfte, hatte meine Mutter damals in den Fünfzigern den Männern die Türen aufgehalten. Schwere Glastüren in Banken, Portale von Eingangshallen, Bahnhofstüren. Sie riss diese Türen stürmisch mit einem ihrer dünnen Ärmchen auf, fixierte dabei die kräftigen Herren in ihren Anzügen mit den breiten Aufschlägen und bedeutete ihnen mit dem Anflug eines Lächelns, hindurchzugehen. »Nun machen Sie schon«, pflegte sie zu sagen, und sie machten auch. Anschließend spürten sie die Blicke meiner Mutter im Rücken, während sie vor ihr hergingen.
    Da geht es uns allen recht ähnlich.
    Nachdem ich meinen Nachnamen in Plow abgeändert hatte, hörte meine Mutter auf, mir Care-Pakete zu schicken. Keine selbst gebackenen Plätzchen oder Teebeutel von Tetley mehr. Keine Cracker mit orangem Schmelzkäse mehr, der spritzte wie Rasierschaum aus der Dose. Sie war entrüstet, als vom College ein Brief kam, in dem stand, dass Roseanna Plow es unter die Jahrgangsbesten geschafft hatte. Meine gute Abschlussnote bedeutete ihr nichts, sie bemerkte nur die fehlenden Vokale und Konsonanten. Als ich das nächste Mal nach Hause kam, sah ich, dass mein Abschlusszeugnis über der Werkbank meines Vaters hing. Jemand hatte meinem abgekürzten Namen sorgfältig das fehlende u, das k und
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