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Seitensprung ins Glück

Titel: Seitensprung ins Glück
Autoren: Mary E Mitchell
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zwanzig Minuten, und ich war diejenige, die dem Jungen in den letzten Monaten immer wieder eingebläut hat, wie wichtig es ist, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Er hat jetzt seit drei Wochen Einkaufswagen zusammengeschoben und dafür an drei Freitagen hintereinander verlässlich seinen Gehaltsscheck bekommen. Er hat vor, anlässlich dieser Bewertung sein Jackett und die Fliege zu tragen, und der Anblick Miltons in dieser Aufmachung – wie sich sein weiches braunes Haar im Nacken über dem weißen Kragen ringelt – könnte einem schier das Herz brechen. Endlich finde ich meinen zweiten Schuh und die Handtasche und eile zur Tür.
    Während ich die flachen Straßen von Long Island in Kriechgeschwindigkeit durchquere, wandern meine Gedanken wieder zu Teddy und Inga. Auch wenn es im Fernsehen ganz alltäglich erscheinen mag, habe ich immer noch Probleme, mir vorzustellen, dass meine beste Freundin es wirklich mit meinem Mann treibt. Was für ein Haus wollen Teddy und sie sich wohl kaufen? Ein neues? Ein großes? Eins von diesen Häusern auf »dem Hügel«, im schicken Teil von Ronkonkoma? In gewisser Hinsicht trifft es mich schlimmer, dass Teddy mich wegen eines anderen Hauses verlassen hat als wegen Inga.
    Ich sehe aus dem Seitenfenster. Die Augusthitze hat die Babys hervorgelockt wie Blumen. Auf den Gehwegen sehe ich, wie sie sich mit prallen Fäustchen, großen Augen und verschmierten glatten Gesichtern an den Metallstangen ihrer Kinderwagen festklammern. Wenn ich sie so sehe, spüre ich einen so heftigen Schmerz in meinem leeren Bauch, dass mein Hirn sofort nach einem entkrampfenden Midol verlangt, doch mein Herz weiß es besser.
    O ja, Roseanna Plow wünscht sich ein Baby. Es war Teddy, der mich davon abgehalten hat, schon vor Langem all seine Regale voller ungelesener juristischer Fachbücher runterzureißen, um den ungenutzten zweiten Raum zu einem Kinderzimmer umzubauen. Denn Teddy wollte noch warten. Bis er bei einer guten Kanzlei untergekommen war. Bis er wenigstens irgendwo Juniorchef war.
    An dem Tag, an dem er unsere gemeinsame Wohnung verließ, war er sechsunddreißig Jahre alt, und niemand hatte ihn bisher gefragt, ob er sein Juniorpartner sein wollte. Und doch hatten wir diese stillschweigende Vereinbarung: Wenn du mich willst, dann wartest du mit dem Baby. Vermutlich musste ich eingewilligt haben, obwohl ich nicht genau wusste, wie dieser Deal eigentlich funktionieren sollte. Bedeutete das, dass ich auf Teddy zu verzichten hatte, wenn ich anfing, mir ein Baby zu wünschen? Und was, wenn wir wirklich zuerst dieses tolle Haus und seinen tollen Job bekommen hätten, also vor dem Baby? Wie wäre es dann geworden? Hätte er siebzig Stunden in der Woche gearbeitet, wäre um fünf aufgestanden, um sechs gefahren, um sieben abends im Bett gewesen und hätte einmal pro Woche mit mir geschlafen und sogar dann noch das Handy in Reichweite gehabt?
    Ich kann Milton Beyer sehen, als ich auf den Parkplatz vor dem SaveWay fahre. Er trägt zwar das Jackett und die Fliege, doch nur, weil er die Uniform abgelegt hat, heißt das noch lange nicht, dass er nicht automatisch alle Einkaufswagen einsammelt, die sich von den schönen, ordentlichen Reihen vor den Türen des Supermarktes entfernt haben. Seine auf Hochglanz gewienerten Lederschuhe glänzen in der Sonne, als er die wieder eingefangenen Wagen an den Rand schiebt. Sein breiter, zweiundzwanzig Jahre junger Rücken ist über den ersten Wagen gebeugt. Er wäre einfach umwerfend mit einem um dreißig Punkte höheren IQ. Die Frauen würden ihm zu Füßen liegen, und er wäre arrogant. Mit einer wie mir würde er sich dann nicht abgeben. Ich hupe einmal, und er blickt mit seinen braunen Augen und seinem überraschten Kindergesicht zu mir herüber.
    »Miss Plow!« Er lächelt, und ich lächle zurück. In seinen Augen werde ich immer jungfräulich sein, denn es war mir nicht möglich, Milton beizubringen, dass ich verheiratet bin. So ist das mit vielen meiner Schützlinge, von denen die meisten zweiundzwanzigjährige Männer und Frauen sind, die nun allein zurechtkommen müssen, nachdem der Staat nicht länger für sie zahlt. Die meisten kommen direkt von den hintersten Rängen der Klassenzimmer, wo ausgepowerte Lehrer sie Schrauben und Muttern in Eimer haben sortieren lassen, was sich dann Erziehungsmaßnahme nennt. Meine Aufgabe ist es, ihnen beim Übergang in ein produktives, unabhängiges Leben beizustehen. Ich frage mich, ob meine Mutter findet, dass es die gleiche
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