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Seitensprung ins Glück

Titel: Seitensprung ins Glück
Autoren: Mary E Mitchell
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wohin er blicken soll.
    Ich klappe meinen Notizblock auf, um den peinlichen Moment zu überspielen. Ich schreibe das Datum auf. Ich fange an, eine Einkaufsliste zu schreiben, wenn ich schon mal hier bin. Entrahmte Milch. Fettfreier Hüttenkäse. Schokolade. Ich werfe einen Blick auf die Uhr und frage mich, wie lange dieser Termin wohl dauern wird. Ein neues Leben, füge ich hinzu. Wir können die Spülung hören, als Milton wieder aus den Waschräumen kommt.
    »Ich hab mir die Hände gewaschen«, teilt er uns stolz mit.
    »Gut gemacht, mein Junge«, sagt Ham.
    Wir zücken unsere Akten und beginnen mit der Arbeit.

3
Rote Lappen
    Marcie knallt einen Aktenordner auf meinen Schreibtisch und mustert mich dreist durch die Gläser ihrer Hornbrille. »Was ist denn mit dir los?«, fragt sie.
    Marcie arbeitet als Sekretärin in unserer Abteilung der Arbeitsvermittlung EPT (Employment Partnership and Training – es ist tatsächlich die gleiche Abkürzung wie für den bekannten Schwangerschaftstest), aber in Wahrheit schmeißt sie den ganzen Laden. Sie hat erstaunlich viel Macht für eine fünfundzwanzigjährige Frau. Sie schläft mit Sean Zambuto, unserem Chef, was – das stimmt wirklich – sie zur Chefin und Zambuto zum Sexsklaven macht. Unsere geistig behinderten Schützlinge, die in der Büroumgebung oftmals verwirrt und ängstlich sind, lieben sie ausnahmslos. Und die Sozialarbeiter einschließlich meiner Wenigkeit kommen zehn Mal am Tag zu ihr gekrochen, um sich Anweisungen zu holen. Das berechtigt sie auch, alles über unsere Privatangelegenheiten zu wissen.
    »Du siehst echt fertig aus«, sagt Marcie. »Dabei ist doch erst Dienstag.« Sie stopft sich eine dicke Strähne ihrer unbarmherzig gestutzten schwarzen Haare (dabei waren sie einst naturblond und wunderschön) hinters Ohr. Ihre Brille, die aussieht wie eines dieser Modelle mit angeklebter Nase und Schnauzer, verbirgt Augen, aus denen sie mich wissend anstarrt. Ich werde nie verstehen, woran ich mit ihr bin. Sie ist von der Natur mit einem Gesicht wie dem von Reese Witherspoon und einem Körper wie dem von Jessica Simpson ausgestattet worden, und doch versucht sie, ihr gutes Aussehen zu kaschieren, solange ich sie kenne.
    »Er ist also noch nicht zurückgekommen?«, erkundigt sie sich.
    Marcie darf mir solche Fragen stellen, weil sie meine Freundin ist. Mich stört nur, dass sie gleichzeitig auch die Freundin meiner Mutter ist. Die beiden telefonieren mindestens einmal pro Woche miteinander. Das ist meine eigene Schuld, habe ich sie doch einmal an einem einsamen Sonntagnachmittag zum Essen mit nach Hause genommen, als Teddy nicht mitkommen wollte. Meiner Mutter wäre es ganz egal gewesen, ob er dabei ist oder nicht. Sie und Marcie kamen sich beim Wühlen in den Vintage-Klamotten meiner Mutter und beim Lesen der aktuellsten Ausgabe des Star Magazine näher, und der Rest ergab sich von selbst.
    »Er kauft ein Haus mit ihr«, sage ich.
    » Was macht er?«
    Sean Zambuto taucht plötzlich in der offenen Tür auf und betrachtet uns aus traurigen, tief sitzenden Augen. Er ist sechzehn Jahre älter als Marcie und war nie verheiratet. Seine jetzt schon hängenden Wangen lassen ihn aussehen wie Schlafmütz von den sieben Zwergen. Der Gedanke daran, dass die beiden das Bett teilen, ist verstörender als Marcies neue Brille. Dabei ist er ein netter Kerl, wie er gerade wieder unter Beweis stellt, indem er uns höflich zunickt. »Könnte ich dich kurz sprechen, Marcie, wegen der Akte Fallon?«, fragt er.
    »In deinem Büro«, bellt Marcie. »Ich bin in einer Minute bei dir.«
    Sean schenkt mir ein tragisches Lächeln, bevor er wie ein geprügelter Hund abzieht. Ich bin sicher, dass er genau mitbekommen hat, was mir widerfahren ist. Im Büro wird natürlich eifrig darüber getuschelt, als wäre ich der inoffizielle ungelöste Fall, das spannende Thema in der Mittagspause, der willkommene Grund, länger am Kopierer rumzulungern. Alle haben Mitleid mit mir, bis auf Marcie, die nur sauer zu sein scheint. Sie klopft mit dem Fuß auf den Boden wie ein Metronom. Sie mag Teddy nicht, sie konnte ihn noch nie leiden. Und Inga findet sie verabscheuenswert. Allein dafür muss man sie lieben.
    »Vergiss dieses Arschgesicht«, befiehlt sie. »Der kommt nie wieder zurück.«
    »Was heißt hier Arschgesicht?«, wiederhole ich. Meine Entrüstung ist nicht gespielt.
    »Na gut. Dann halt diesen Versager. Entschuldige.«
    »Dieser Versager ist mein Mann!«, entgegne ich, vielleicht etwas zu
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