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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz
Autoren: Federica de Cesco
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Manhattan und ließ bestimmte Gesten sich von Gruppe zu Gruppe auf den einzelnen Dächern fortsetzen. Auf der Straße sammelten sich die Zuschauer an und hatten bald alle Genickstarre.«
    »Wie kommt ihr nach Venedig?« fragte sie.
    »Mit dem Zug.«
    Alwin hatte keinen Führerschein, Pierre rauchte Joints, und ich saß ungern am Steuer.
    »In Italien sind Eisenbahnfahrten nicht traurig.« Lea rührte gemächlich ihren Tee um. »Habt ihr schon ein Zimmer?«
    »Vielleicht finden wir eine Pension.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich kann dich nicht daran hindern, unpraktisch zu leben. Ich beanspruchte immer ein Badezimmer. Und ein Frühstück, um den Tag zu beginnen. Ich denke, du fährst nicht umsonst nach Venedig«, setzte sie hinzu, und ich erkannte sie ganz und gar in diesem Satz.
    Während sie sprach, wurden ein dumpfes Trommeln, ein Schnauben hörbar. Draußen jagte plötzlich ein schwarzes Pferd durch die Schneeschleier. Die schwarze, geschmeidige Gestalt löste sich aus dem Nebel, wie eine Erscheinung. Ein sich deh-nender, sich zusammenziehender, kraftvoller Körper. Gleich neben dem Haus befand sich eine Koppel. Der Nachbar hatte ein kleines Gestüt und vermietete Reitpferde. Im Winter, wenn die Hecke kahl war, schienen die Pferde in unserem Garten zu weiden. Nun schwebte das Pferd vorbei, wie ein dunkler Dä-
    mon, Schneestaub aufwehend. Ich betrachtete das Tier, gebannt, sprachlos, mit dem geradezu körperlichen Gefühl, daß sich etwas ereignen würde. Die Mähne und der Schweif wirbelten in der Luft. Die Schönheit des flüchtig geschauten Bildes schmerzte mich in der Brust. Dann Stille, wie nach einem Sturm. Das Geisterpferd war verschwunden, hatte sich in Nichts aufgelöst. Meine Augen kehrten zu Lea zurück. Sie saß aufrecht da, schmal und gebieterisch. Ein kleines Lächeln um-spielte ihre Lippen, gekräuselt wie feines Seidenpapier.
    »Das Pferd holt deine Seele«, sagte sie. »Jetzt, gerade! Jetzt ist sie gegangen!«
    Ich lachte auf, befangen und etwas sarkastisch. Sie dramati-sierte mit Vorliebe, und manchmal über die Maßen. Entdeckte sie ein Modell, wußte sie in einer Sekunde, was sie damit machen konnte. Die Verflechtung war blitzartig und synoptisch.
    Aber ich durfte sie nicht allzu ernst nehmen.
    »Und weißt du auch, wohin sie geht, Lea? Kannst du mir das sagen?«
    »Weit weg in die Zukunft«, erwiderte sie. »Dorthin, wo sie die Vergangenheit trifft.«
    Ein Schauer überzog meine Haut. Sie hat es mal wieder geschafft, dachte ich. Sie balancierte ihre Tasse, gelassen, und trank ihren Tee. Ihr Lippenstift hinterließ eine rote Spur auf dem Rand. Die Inszenierung war bis in die Einzelheiten perfekt. Großartig, Lea! That’s entertainment. Ich stellte ihr keine weiteren Fragen; sie würden unbeantwortet bleiben.
    3. Kapitel
    D as karminrote Stoffpferd wanderte am Kanal entlang, an der Kirche vorbei. Der lange flache Schädel hatte etwas Grausames an sich, das geöffnete Maul mit den weißen Zahnwürfeln zeigte ein verzerrtes Grinsen. Ich ging über den Platz, trat in eine Stehbar. Die Bar war leer, nur mit ein paar Masken dekoriert, die über der Tür wie abgeschnittene Köpfe hingen. Hinter dem Perlenvorhang erschien ein verschlafener Ober und bediente die Kaffeemaschine. Ich zahlte an der Kasse, gab zwei Löffel Zucker in den Cappuccino. Dazu aß ich einen kleinen Panettone, der nicht mehr frisch war. Im Spiegel hinter der Theke sah mein Gesicht wie ein dunkler Fleck aus, und daneben tänzelte das rote Pferd, sich hin und her wiegend, über eine Brücke. Kinder liefen mit vergnügten Schreien hinter ihm her.
    »Carnevale«, sagte der Ober.
    Ich nickte lächelnd. Der Ober erzählte mir, daß es in Venedig seit fünf Monaten nicht mehr geregnet habe. Der Wasserspiegel sank. Ob ich nicht den Gestank bemerkt habe? Es sollte endlich mal wieder regnen, seufzte der Ober. Aber nicht ausgerechnet am Carnevale, setzte er pragmatisch hinzu.
    In der Morgenstille schlug die Glocke des nahen Campanile.
    Neun Uhr. Ein Taubenschwarm wirbelte durch die graue Luft.
    Vom Kanal her dröhnte das rauhe Getucker eines Motoscafos.
    Der Campo San Stefano war ein kleiner Platz, trübe wie ein alter Spiegel, gesäumt von Häusern in verblichenen Farben.
    Auf den schmalen Eisenbaikonen standen Blumentöpfe mit vertrockneten Pflanzen. Es roch nach Dieselöl und nach frischem, ungesalzenem Brot.
    Die Pension »Donatella« mußte bessere Zeiten gekannt haben; das Tor und die Spitzbögen der Fenster zeigten noch Spuren
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