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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz
Autoren: Federica de Cesco
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undurchdringliche Ruhe lag auf seinem Gesicht. Dann rann eine Träne über seine Wange, hinterließ auf der blassen Haut eine glitzernde Spur. Die mandelförmigen Augen hoben sich.
    »Ich trage die Schuld, daß alles so gekommen ist. Sehen Sie… ich wußte es. «
    Ein Schauer überlief mich.
    »Sie wußten es? Das kann nicht sein!«
    »Doch, es ist so.«
    Sein Kopf war gesenkt, sein Gesicht dunkelrot. Er sprach leise und schnell, während er zu Boden sah.
    »Es war damals in London, als sie zum ersten Mal die ›Vogelfrau‹ tanzte. Der Vogel ist ein Bote des Todes. Der Hochzeitskimono, die Blumen stellten die Freuden des Lebens dar, denen der Mensch entsagt, bevor er, schlank wie ein Kranich, in die jenseitige Welt eingeht. Ich war es, der für Naomi dieses Stück inszeniert hatte. Und als sie die ›Vogelfrau‹ tanzte, da sah ich ganz deutlich die Schattenhaut, die sie umgab: die schwarze Aura des Todes. Sie glauben mir nicht?« Er lächelte voller Trauer.
    »O doch, Tänzer sehen diese Dinge.«
    Ich flüsterte rauh:
    »Ja, ich weiß… «
    Er beugte sich vorwärts, als wollte er mir ein Geheimnis anvertrauen.
    »Ich verbot ihr, die ›Vogelfrau‹ zu tanzen; wir zerstritten uns. Sie dachte, daß ich ihr den Erfolg nicht gönnte. Damals verlor ich beinahe den Verstand. Schuldgefühle und Grauen verfolgten mich. Ich mußte den Todesfluch von ihr abwenden.
    Und so tanzte ich die ›Vogelfrau‹, an ihrer Stelle, um das Un-heil auf mich zu nehmen. Es gelang mir nicht; mitten in der Vorstellung brach ich mir den Fuß. Da wußte ich, daß ihr Schicksal besiegelt war…«
    Jetzt schaute er auf; ich sah das dumpfe Elend in seinem Gesicht, den Schatten des Schmerzes, der seine Augen verdunkelte.
    »Meine Nerven hielten die Belastung nicht aus. Das war die Ursache meiner Krankheit. Mit ihr konnte ich nicht darüber sprechen. Sie hätte es nicht verstanden. Und so mußte ich das Geheimnis bewahren…«
    Ein langes Schweigen folgte. Seiji wippte auf seinen ge-kreuzten Beinen leicht hin und her. Er schien völlig unbeteiligt an dem, was hier gesprochen wurde. Seine Augen, schwarz, stumpf und trotzig, waren unverwandt auf den Wandbehang gerichtet. Schließlich straffte sich Keita.
    »Nun, das alles wollte ich Ihnen eigentlich nicht erzählen.
    Aber Sie machen sich Gewissensbisse. Das sollen Sie nicht.«
    Er sagte nichts mehr, bis Kunio das Wort ergriff.
    »Wir danken Ihnen, Keita-San. Naomis Mut war bewundernswert. Wenn die Zeit für mich gekommen ist, das Eisen zu hämmern, werde ich auf ihren Beistand vertrauen. Ihre Seele soll es sein, die mir Kraft gibt.«
    Keita machte eine Bewegung, so leicht, daß es kaum ein Schauer war, bevor er sich tief und feierlich verbeugte. Er sprach wieder ganz heiter, obwohl seine Lippen zitterten.
    »Es ist eine große Ehre auch für mich. Ihr Herz war, wenn sie tanzte, in vollkommenem Einklang mit dem Prinzip des Lebens.«
    Beim Abschied hielt ich Seiji mit einer Handbewegung zu-rück.
    »Warte bitte einen Augenblick.«
    Behutsam löste ich den Wandbehang.
    »Er soll für dich sein. Als Erinnerung an deine Großmutter.«
    Er blieb stumm. Doch sein Gesicht hatte eine dunkle Färbung angenommen. Der gleichgültige Trotz wich einer zögernden Freude. Kunio half mir, den Stoff in ein Papier zu rollen. Seijis Augen blitzten, als er ihn in Empfang nahm.
    »Ich danke Ihnen«, sagte er, und zum erstenmal klang seine Stimme wie die eines Mannes, fest und ruhig. »Es ist das einzige, was ich von ihr noch habe.«
    »Ich glaube, der Druck stellt eine Blume dar«, sagte Kunio, betont leichthin. »Wirklich eindrucksvoll, nicht wahr?«
    Seijis Verbeugung fiel unbeholfen und verkrampft aus. Doch sein finsteres Gesicht zeigte durch den Anflug eines Lächelns soviel Dankbarkeit und Vertrauen, daß ich in den Zügen des verdrossenen Halbwüchsigen den Ausdruck der Zärtlichkeit erkannte, den Naomis Gesicht in glücklichen Augenblicken getragen hatte.
    »Die Lilie«, sagte er, »die hat mir immer am besten gefallen.«
    Lea,
    Es tut mir leid, daß ich am Telefon nur wenig gesagt habe.
    Du hast Fragen gestellt; meine Antworten waren verworren.
    Aber du kommst ja bald. Ich rede lieber, wenn du da bist.
    Mir geht es wieder gut. Ich nehme an, daß die Einwirkung des Ranryô-ô mit der Zeit in mir verblaßt. Er kann nur wiederkommen, wenn ich ihn rufe, und dazu bin ich nicht vermessen genug. Nicht einmal deswegen, weil die Angst so groß war.
    Nein. Wer die Kraft hat zu sehen, ist lieber blind. Du hast mir kein
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