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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz
Autoren: Federica de Cesco
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leichtes Los aufgeladen, Lea. Aber gleichzeitig auch den nüchternen Verstand geschenkt, der mich vor manchem bewahrt. Ich meine wirklich, daß ich dir viel verdanke. Und noch etwas hast du mir beigebracht: Jeder Mensch hört eine innere Stimme, die ihm den Weg weist, selbst wenn er in Chaos und Tod führt. Sie sprach zu Naomi ebenso deutlich und klar, wie sie auch mich erreichte. Das ist etwas, das Keita nicht weiß. Ich habe ihm in die Augen gesehen, von ganz nah, und verstanden, daß ich es ihm nicht sagen durfte. Wozu ihm seinen Frieden rauben, jetzt, da es zu Ende ist? Er wollte seine Liebe vernich-ten, sich selbst töten. Nichts hatte mehr gezählt, nicht einmal mehr sein Sohn. Das muß er jetzt verantworten. Er wird zurück auf die Bühne gehen, wie in ein fremdes Land von unwider-stehlichem Geheimnis. Auf den von ihm geschaffenen Trümmern wird er neue Landschaften bauen, weil noch ein Mensch da ist, der ihn braucht.
    In Miwa ist der Frühling gekommen. Kirschblüten wehen dahin, wie schwebende Seelen. Der Himmel, unendlich weit und doch so nahe, scheint aus mehreren Schichten zu bestehen.
    Ein und derselbe Wind streift über die Kiefern am Berg und die Reisfelder im Tal. Hier in der Landschaft ist jeder Strauch, jeder Stein, wo er sein muß: alles steht da, für nichts, für sich, weil die Natur es so will. Immer wieder versuchen die Menschen, die Natur zu unterwerfen. Die Japaner denken anders.
    Sie wissen, die Erde kann niemals ihr Eigentum sein. Wir alle neigen zu Hochmut und Eigennutz. Zeigt uns die Natur ihren Zorn, erwachen in uns Hilfsbereitschaft, Mitgefühl und Näch-stenliebe. Tiefe, bedeutungsvolle Bindungen entstehen, wenn die Menschen in Gefahren zusammenfinden. Die Natur zieht uns zur Rechenschaft, sie ist eine harte Lehrmeisterin. Und doch müssen wir ihr dankbar sein.
    Die Schmiede ist geschlossen. Kunio hat das Schwert seines Vaters vollendet. Entlang der Klinge ringelt sich das Lilienmu-ster, kraftvoll und harmonisch, sprühend von Leben und Licht: ein Geschenk, das Iris ihm machte. Sind wir – du und ich und alle, die wir lieben – im Kreis gegangen? Wie denkst du dar-
    über, Lea darling? Ich für meinen Teil möchte es glauben. Der Kreis ist zeitlos, steht nie still. Kunios Zuversicht ist jetzt unerschütterlich. Nach abgelaufener Frist wird er die Schmiede wieder betreten. Er wird die Riten einhalten, die geweihten Seile durch neue ersetzen. Ich werde den Feuerstein schlagen, den Funken auslösen, das weiße Papier anzünden. Die Kerze wird leuchten, die Holzkohle glühen. Und wenn die blauen Flammen brausen, werden wir Naomis Stimme hören:
    »Ich bin da!«
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