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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz
Autoren: Federica de Cesco
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anderes im Kopf. Er schlug die Decke zurück, hob mir die Hüften entgegen.
    »Steig auf!« sagte er leise.
    »Jetzt nicht.« Ich machte mich los. Außerdem trug ich schon mein Trikot unter dem Kleid. »Gleich gegenüber ist eine Bar.
    Der Cappuccino ist gut.«
    Vielleicht war Venedig eine Illusion. Die Fundamente steckten auf Pfahlrosten im Schlamm, die Häuser waren schief und krumm, die Fassaden unregelmäßig, die Brückenpfeiler vermo-dert. Gerüche nach faulen Früchten und Urin, nach Dieselöl und Rauch verpesteten die Meeresluft. Krebse klebten an den Hauswänden wie kleine bleiche Gespenster. Unter Nebel-schwaden saugte das schmutzigbraune Wasser mit schmatzen-den Geräuschen an den Steinen. Manchmal schimmerte der Himmel wie fernes Porzellan, die Türme und Kuppeln und Bögen von San Giorgio Maggiore und Maria della Salute tauchten wie aus dem Nichts auf, flimmerndes Gold blendete die Augen. Dann wehten die Nebel empor; die Traumbilder verschwanden.
    Auf dem Campo San Stefano stand wieder das rote Pferd, von Schaulustigen begafft. Die vier Männer, die sich unter dem Wachstuch verbargen, wohnten hier. Eine Frau brachte ihnen Kaffee in einer Thermosflasche. Verkleidete Kinder rannten einander nach, sie kreischten lauthals, sie stießen und drängten sich zwischen den Zuschauern. Nach einer Weile krochen die Männer wieder unter die Attrappe, zogen das Wachstuch über Körper und Kopf. Das Pferd setzte sich in Bewegung, hüpfte und tänzelte mit groteskem Stampfen. Wenn man an einem Stock zog, warf es den Kopf zurück und klapperte mit dem Maul, was die Kinder entzückte. Wir schlossen uns dem Ge-dränge an, ohne besondere Absicht. Unsere Pläne waren sehr vage, wir ließen uns von der Eingebung führen. Über dem schwarzen Trikot trug ich ein rotes Kleid, bodenlang und mit Rüschen. Um meine Schultern hatte ich einen schweren, bunt-gestrickten Fransenschal geschlungen: den Schal einer Flamen-cotänzerin aus Granada, Pierre hatte seine Gitarre bei sich und war in Jeans, wie üblich. Er trug nichts anderes – im Winter kam ein griechischer Hirtenpulli dazu. Seine nackten Füße steckten in pakistanischen Sandalen. Alwin, ganz in Schwarz, hatte den Mantelkragen hochgeschlagen, hielt die blaugefrorenen Hände tief in den Taschen. Baumlang, wie er war, schien sein nordisches Gesicht mit dem bleichen Haar über den Köpfen der Menge zu schweben.
    Wir sollten nicht glauben, daß der Carnevale echt sei, hatte uns Signora de Lombardi erklärt. Der echte sei seit Jahrhunderten tot. Dieser neue stamme aus den achtziger Jahren, eine Idee vom Verkehrsverein, um die Touristen im Winter nach Venedig zu locken. Die Jugend spielte mit, wie einstudiert, aber
    »questo è per la Televisione – das ist bloß für das Fernsehen«, meinte die Dame mit geringschätzigem Achselzucken. Eine Illusion? Venedig?
    Der Markusplatz war menschenüberfüllt, ein Mahlstrom wirbelnder Farben, Klänge und Bewegungen, kreisend wie ein Sternennebel. Tausende von Verkleideten wogten heiter lärmend auf und ab, warfen Papierschlangen und Konfetti. Die Pracht der Kostüme war überwältigend. Gewänder aus Tüll, Seide und Spitzen, Umhänge aus schwerem Samt, mit Fäden aus Silber und Gold durchwoben, oder perlenbestickt. Perücken leuchteten giftgrün, purpurn, zitronengelb, perlrosa. Unter großen Schlapphüten ringelten sich goldene Locken, bunte Feenschleier schleiften über Marmorfliesen. Musik – Pop oder klassisch – schallte aus Tausenden von Lautsprechern. Es duftete nach Vanille und Zimt, nach Rosenwasser, Moschus und Tuberose, nach gebratenem Öl und den süßen Leckereien, die man »Fritelli« nennt. Und immer mehr Menschen kamen, geschminkt und kostümiert, behangen mit funkelndem und klin-gendem Phantasieschmuck. Sie hielten Fächer oder versilberte Trompeten in der Hand, rasselten mit Schellen, wiegten sich im Takt und bewegten sich mit gezierten Schritten, elegant und graziös wie Tänzer auf der Bühne. Sie zeigten sich, wie sie sein mochten. Sie kehrten ihre Seele nach außen. Das Kostüm war keine Verkleidung, sondern ein Sich-zur-Schau-Stellen, deutlicher, als ob sie nackt wären. Im Gedränge saßen Mädchen und Jungen auf dem Boden, ihre schweren Gewänder hochgerafft, und bemalten sich gegenseitig die Gesichter. Sie trugen die Farben mit Hingabe auf, ihre Hände waren geschickt, ihr Geschmack verblüffend sicher. Sie sahen wunderbar aus. Doch auch die Masken waren überall, glatt wie Elfenbein, goldge-sprenkelt oder
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