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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz
Autoren: Federica de Cesco
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übe noch täglich. Zwei Stunden an der Stange, das hält jung. Möchtest du noch Tee?«
    Das bedeutete, daß ich sie zu bedienen hatte. Ihre Starallüren würde sie niemals aufgeben. Sie hatte in New York bei Jerome Robbins getanzt, bei Martha Graham und Katherine Dunham.
    Die Choreographin hatte sie in ihrer Truppe aufgenommen, obwohl sie keine Schwarze war. Leas Haut nahm in der Sonne einen olivfarbenen Ton an; ihr dunkelgelocktes Haar, mit Öl eingerieben, gab ihr das Aussehen einer Mestizin. Dann zogen meine Eltern nach Hongkong, wo mein Vater eine Praxis eröffnete. Ein halbes Jahr später hatte Lea chinesisch gelernt – nur so zum Vergnügen, wie sie behauptete – und eine Ballettschule gegründet, die noch heute bestand. In Israel, wo ich zur Welt kam, griff Lea bei Sara Levi-Tannai auf die jemenitische Tanz-tradition zurück. Noch mit achtundfünfzig Jahren trat sie als Solistin am Stockholmer Stadttheater auf. Sie tanzte die Titel-rolle in Mats Eks »Bernardas Haus« – eine Kreation, die große Beachtung fand. Nach Michaels Tod zog sie sich eine Zeitlang zurück, brachte ihre Sachen in Ordnung und trauerte. Später unterrichtete sie in Lausanne. Als das Tanzmuseum gegründet wurde, betreute sie das Archiv, stöberte seltene Fotos, Partituren und Bücher auf, die nur noch antiquarisch erhältlich waren.
    Sie unterrichtete immer noch – wenn auch nur aushilfsweise –
    und gestaltete Choreographien für ein Kindertheater in Pully, was ihr einen Riesenspaß machte.
    Sie gab mir ihre Tasse; ich goß den Tee mit perfekten Bewegungen ein, reichte ihr Zucker, Zitrone. Das schlampig-flüchtige Berühren von Gegenständen hatte sie stets verpönt.
    Ich zeigte mich sehr geschickt in diesen Dingen. Sie registrierte es, blinzelte amüsiert, bevor sie wieder auf Japan zu sprechen kam.
    Aber sie hatte eine Menge Absonderlichkeiten. Und ihr Er-zählen scherte sich nie um Systematik.
    »Es war eine Zeit, wo ich sehr tief empfand, alle Dinge wie in einer doppelten Wahrnehmung erlebte. Das Gute und das Böse. Ich habe das alles aufgeschrieben. Eine Art Tagebuch.«
    Es war das erste Mal, daß ich das hörte.
    »So? Das würde ich gerne mal lesen.«
    »Es ist weg, nicht mehr da. Auf irgendeiner Reise verlorengegangen. Ist ja auch unwichtig.«
    »Warum redest du dann davon?«
    »Einfach so, weil es mir in den Sinn kam.«
    »Ich frage mich«, seufzte ich, »ob du lügst oder die Wahrheit sagst.«
    »Ich lüge. Ich sage die Wahrheit. Wie es mir gerade paßt.«
    »Du bist eine anstrengende Frau.«
    Sie knabberte ein Mandelplätzchen.
    »Das haben schon andere vor dir festgestellt. Merkwürdig ist das, ich habe öfter Menschen sehr gemocht. Aber ich glaube nicht, daß ich viele Menschen geliebt habe, abgesehen von Michael und Hanako. In einem ganzen Leben ist das ziemlich wenig, findest du nicht auch?«
    »Und was ist mit mir?«
    Sie lächelte jetzt, sehr zärtlich: ein Lächeln, das ihr Gesicht verwandelte.
    »Ich liebe dich, wie ich mich selbst liebe. Und das will etwas heißen.«
    »Wie auch das Gegenteil vorkommen könnte?«
    »Das auch, ja. Ich habe ziemlichen Druck auf dich ausgeübt.
    Die Allmacht der Mutter und so weiter. Ich war selten kom-promißbereit.«
    »Du hast mich nicht schlecht erzogen. Ich bin sogar zum kri-tischen Denken fähig.«
    »Dafür habe ich frühzeitig gesorgt.«
    »Hast du oft solche Menschen getroffen?«
    »Einige.«
    Ich wandte die Augen ab. Auf einer Kommode stand eine Fotografie in einem ledernen Stehrahmen. Es war ein Porträt von Michael, in Israel aufgenommen. Mein Vater war blond gewesen, hellhäutig, mit breiten slawischen Zügen. Ich hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihm. Lea fing meinen Blick auf.
    Der winzige Silberlöffel klirrte an ihre Tasse.
    »Es gibt Tage, da fehlt er mir sehr…«
    »Mir auch«, sagte ich leise.
    Draußen im Flur begann die Standuhr zu schlagen. Fünf langsame, glockenklare Schläge. Es dämmerte bereits. Hell-blaue Schatten wanderten über den Schnee. Lea nippte an ihrem Tee.
    »Und was sind nun deine Pläne?«
    Ich lächelte.
    »Wir gehen nach Venedig.«
    »Zum Karneval?«
    »Wir haben kein Engagement«, sagte ich. »Wir wollen ein Stück auf der Straße aufführen. Nur so zum Spaß. Alwin findet es aufregend, eine ganze Stadt als Kulisse zu haben.«
    »Alles schon dagewesen!« Lea bewegte ihr Handgelenk, an dem ihr einziger Schmuck – ein goldener Reifen – funkelte.
    »Trisha Brown stellte ihre Tänzer und Tänzerinnen auf Haus-dächer in
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