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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz
Autoren: Federica de Cesco
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Wohnzimmer, knabberten Mandelplätzchen, selbstgebacken von Lea, und tranken Tee, der nach Zimt duftete. Lea hatte einen Samowar. Draußen fiel Schnee. Im weißen Licht sah ich, wie sorgfältig ihr Gesicht gepflegt war. Die Haut war von dünnen Fältchen überzogen, in den Augenwinkeln verliefen die Linien tiefer, aber die Konturen blieben straff, die Halsmuskeln fest. Über ihrem Gesicht lag ein seidenweicher Schimmer. Von Lea ließ sich nicht sagen, daß sie klein war, weil ihre Anwesenheit soviel Intensität ausstrahlte. Sie hatte dichtes Haar, früher dunkelblond, heute silbern und kurzge-schnitten. Wenn sie lachte, klang es, als ob man Muscheln schüttelte. Ihre Augen, die ein wenig schräg standen, sahen mit leichtem Silberblick spöttisch auf diese Welt. Sie waren von wechselnder Farbe: mittags grau, fast durchscheinend, abends beinahe violett. Jetzt, im Schneelicht, leuchteten sie wie Kristall.
    »Du siehst müde aus«, stellte ich fest.
    »Körperlicher Zerfall«, erwiderte sie heiter. »Dagegen hilft nur Massage. In geistiger Hinsicht, meine ich.«
    Ich schlürfte den Tee, der zu heiß war.
    »Du wolltest mir etwas über Schwertlilien erzählen.«
    »Deine Großmutter trug den Namen Iris.«
    »Ich sehe nicht unbedingt den Zusammenhang.«
    »Aber ich. Jedesmal, wenn sich in meinem Leben etwas Besonderes ereignen wird, träume ich von ihr.«
    »Und wann hast du das letzte Mal von ihr geträumt?«
    »Heute nacht um halb vier«, sagte Lea.
    Meine Mutter wohnte oberhalb von Lausanne, wo das Bau-land langsam in Ackerland übergeht. Das Haus war groß, viel zu groß für sie, nachdem Michael, mein Vater, gestorben war.
    Aber Lea hatte das Problem gelöst: Im ersten Stockwerk wohnte eine spanische Familie mit zwei erwachsenen Söhnen.
    Gratis.
    Die Bedingung war, daß Señora Perez ihr zweimal in der Woche den Haushalt machte, und daß sich ihr Mann in seiner Freizeit um den Garten kümmerte. Die Abmachung lief seit Jahren zur beiderseitigen Zufriedenheit. Meine Mutter gehörte zu diesem Haus, war mit ihm verwachsen. Jedes Möbel, jeder Gegenstand lebte sein eigenes Leben: schön verzierte, unbe-nutzte und liebevoll gehegte Einzelstücke, geschnitzt, Poliert, sorgfältig abgestaubt. Selbst die Vasen, Obstschalen, Statuetten schienen eine eigene Geschichte zu erzählen. An den Wänden hingen Ölgemälde und Lithographien aus der Welt des Balletts sowie eine Anzahl asiatischer Rollbilder, von denen einige alt und kostbar waren.
    Der Wohnraum war groß. Auf der einen Seite stand ein runder Eßtisch mit hochlehnigen Stühlen, auf der anderen ein bequemes Sofa aus abgeschabtem Leder. Auch die Teppiche waren alt und abgetreten; Lea meinte, es lohne sich nicht mehr, neue zu kaufen.
    Durch die Fensterfront sah man die Veranda mit dem alten Kaffeetisch und den Korbstühlen, die jetzt, in Plastik einge-packt, auf den Frühling warteten. Der ferne See schimmerte grau; zwei Bauernhäuser, mit wuchtigem Schrägdach, duckten sich hinter die verschneiten Hügel.
    Hier war mein Zuhause. Mein Zimmer stand immer bereit, das Bett war bezogen. Alles war wie früher: die Vorhänge aus geblümtem Chintz, die passende Stehlampe, die grüne Tages-decke und die Lithographie von Chagall, am Kopfende des Bettes. Sie stellte eine schwebende Figur dar – eine Fee oder eine Tänzerin, die mir angeblich ähnlich sah. Michael hatte mir das Bild zu meinem vierzehnten Geburtstag geschenkt. Er hatte die Lithographie im Schaufenster einer Genfer Galerie gesehen und sich gesagt, das ist Ruth. Es war mein erstes wirklich wertvolles Bild – und vorläufig mein letztes. Ich führte ein Leben, das anders war.
    »Und wie hast du von Iris geträumt, Lea?«
    »In Symbolen, natürlich. Aber ich werde schon klug daraus.
    Die Erinnerung an diese Träume ist sehr klar.«
    Beim Sprechen drehte und bog sie die Hände in jenem lebhaften Spiel, das auch zu meinen Eigentümlichkeiten gehörte.
    Zwischen uns war ein rätselhaftes Band, ein Schwingen der Nerven. Wir waren Mutter und Tochter, wir gehörten zusammen.
    »Meine Schulbildung war, den damaligen Verhältnissen entsprechend, fragmentarisch«, sagte Lea. »Gleichwohl, das biologische System wie eine Bakterienzelle mit ihrem Informati-onsgehalt abzuschätzen, ist verhältnismäßig einfach. Das kann sogar ich. Und ich brauche dazu nicht die Schätzungen von Morovitz oder Linschitz. Das Leben ist, verdammt noch mal, nicht zufällig entstanden, ebensowenig wie die Moleküle eines beliebigen Enzyms. Leben ist
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