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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz
Autoren: Federica de Cesco
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Flohmarkt von Avignon gefunden hatte. Alwin mußte die Bänder so eng schnüren, bis ich kaum noch atmen konnte. Ich trug ein rotes Untergewand, ein dünnes Achselhemd, eine weite bauschige Hose und darunter einen winzigen schwarzen Schurz, wie eine Night-Club-Artistin. Zum Kostüm gehörte ein breitrandiger Stoffhut, den ich mit großen Nadeln feststeckte, und ein langer Schleier mit kleinen Kügelchen.
    Zuerst waren meine Bewegungen verhalten, fast gehemmt.
    Sie sollten aber auch innere Auflehnung und Zorn darstellen.
    Die schwarzgekleidete Frau litt unter dem Gebot der Verhüllung, dieser Form von Gewalt, die man ihrem Körper zufügte.
    Sie stand vor einem verschlossenen Tor, ihre Hände wanderten hilflos über die eingeschnürte Taille, sie warf den Kopf zurück und stöhnte. Das Stöhnen wurde zum Wehklagen, zum herzzerreißenden Singsang. Sie schlug sich ins Gesicht, klatschte sich im Rhythmus ihres Kummers auf die Schenkel. Manchmal blickte sie mit der Wut der gefangenen Kreatur umher. Dann wieder beugte sie sich tief nach hinten, so daß sie mit dem Nacken fast die Fersen berührte. Ihr Kleid schien unter der Hitze ihrer Auflehnung zu knistern. Plötzlich entdeckte sie, daß der Schlüssel zu ihrer Befreiung an ihrem Hals hing. Sie wagte sich vorwärts, befangen und furchtsam, denn das Gefängnis ist auch ein mächtiger Schutz. Da sprang das Tor auf: Licht fiel in den Raum. Draußen sang eine Gitarre, wie ein lockender Vogel. Jetzt zog die Frau Stück für Stück die langen Nadeln heraus, die ihren Hut befestigten. Sie schüttelte ihr Haar. Der Schleier, der auf dem Boden schleifte, verlängerte im Schatten ihr Bild. An der Schwelle der Freiheit trat ihr der Mann entgegen – der Gebieter, Wächter einer Ordnung, der die Frau sich entzog. Sein Gewand schillerte kupfern, ein silberner Helm umrahmte sein Antlitz, und er hielt ein Schwert in der Hand. Er versperrte der Fliehenden den Weg. Doch die Frau ließ sich nicht durch seine Drohgebärde einschüchtern. Rasch und entschlossen entzog sie ihm das Schwert, schenkte ihm dafür eine Irisblüte. Nun schnitt sie mit der Schwertspitze ihr Kleid entzwei, ließ das seidene Unterkleid über ihre Schultern gleiten.
    Ein paar schnelle Bewegungen: das Korsett fiel zu Boden. Die nackte Frau verweilte einen Augenblick lang, nach Osten gewandt, in die aufsteigende Sonne blickend. Mit erhobenem Kinn, das Schwert dem Licht entgegengestreckt, stand sie zehn Sekunden lang bewegungslos. Dann trat sie auf den Mann zu.
    Lachend, spielerisch, fegte sie seinen Helm vom Kopf, schnitt sein Gewand in Streifen. Die Gitarre erscholl jetzt sehr laut.
    Der Mann brachte die Frau zu Fall. Eine Weile balgten sich beide auf dem Boden, geschmeidig wie Schlangen; sie rangen miteinander, und die Zuschauer sahen, worauf es ihnen ankam.
    Schließlich lag der Mann auf dem Rücken; die Frau, auf ihm, mimte die Ekstase der Vereinigung. Während sich der Mann zusammenrollte wie ein Fötus, stieg sie über ihn hinweg, behutsam und leichtfüßig. Zum Klang der Gitarre tanzte sie mit dem Schwert, schlang die Arme in Biegungen und Schleifen übereinander, aus ihrem Mund kamen merkwürdige Töne.
    Dann legte sie das Schwert neben den schlafenden Mann und bekränzte ihn mit Irisblüten. Er erwachte, blickte in die Klinge wie in einen Spiegel, sah die Blumen in seinem Haar und lä-
    chelte. Die Frau reichte ihm die Hand, zog ihn zu sich empor.
    Er reichte ihr das Schwert. Sie trugen es beide, dem Licht entgegen: Es war das Symbol ihrer Befreiung.
    Am Abend der Premiere saß Clarissa Monnier unter den Zuschauern. Sie beobachtete die Vorgänge sozusagen über den Zaun hinweg, mit finsterem Gesicht. Ein mächtiger Schutzen-gel voll unheimlicher Energie und erschreckender Einfühlungs-kraft. Nach der Vorstellung fegte sie in die Kulissen, aufgelöst und erhitzt. Ihr schwarzes Gewand schleifte über die Bretter.
    Sie umarmte mich, echt ergriffen und mit glänzenden Augen.
    »Ach, das war wunderbar! Du hast ja den Applaus gehört.
    Ich bin richtig stolz auf dich. Einige Machos furchen die Stirn –
    das war vorauszusehen. Die Niederlage des Helden stört ihre Eigenliebe. Aber sämtliche Frauen sind begeistert.«
    Sie hob sich auf die Zehenspitzen, drückte Alwin an ihre wogende Brust und küßte ihn auf beide Wangen.
    »Wie schön das alles ist, mein Junge! Auch du siehst die Dinge nicht mehr, wie du sie bisher gesehen hast, nicht wahr?
    Lancelot, von Ginevra in Eros verwandelt! Das war eine wirklich große
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