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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz
Autoren: Federica de Cesco
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Leistung, Alwin. Das hast du fein gemacht.«
    »Ach, finden Sie?« stammelte Alwin, der grundsätzlich über wenig Witz verfügte und nach einer Vorstellung immer benommen war. Er konnte in den ständigen Wortschwall Clarissas nicht einen einzigen Satz einschalten. Sie ließ ihn stehen, hängte sich bei Pierre ein und tätschelte seinen Arm, über-freundlich, aber mit weniger Ungestüm.
    »Chéri, deine Improvisationen – ich habe noch nicht Zeit gehabt, es dir zu sagen –, sie gehen mir unter die Haut. Nein wirklich, ich fühle mich schwindlig!«
    »Das mache ich nicht mit Absicht«, erwiderte Pierre in seiner lächelnden, nachlässigen Art. Clarissa war ihm wohlwollend gesonnen, wußte jedoch nie, woran sie mit ihm war.
    Künstler leiden oft an Selbstzweifeln oder brechen aus wie scheuende Pferde. Man muß sie trösten, loben, je nach Neigung mit Whisky oder Kamillentee verpflegen. Pierre war allzu selbstbewußt, auf eine stille Weise sarkastisch. Unzugänglich.
    »Die reinste Klangakrobatik!« sagte Clarissa. »Man weiß nie, was kommt, und es ist immer genau das, was mitten ins Herz trifft.«
    Er nickte, mit einem unergründlichen Glitzern in den Augen.
    »Es ist mir sehr angenehm, daß du es so empfindest, Clarissa. Ich spiele nie aus dem Verstand heraus.«
    »Nein, natürlich nicht, Chéri. Du bist ein Genie!«
    »Ich bin ein Ziegenbock!« sagte Pierre.
    Ich hatte schon geduscht, trug meinen Jogginganzug und schminkte mich ab, als Denis Berger in die Garderobe kam. Ich deutete mit dem Kinn auf einen Stuhl. Er setzte sich.
    »Nichts Neues unter den Scheinwerfern, Ruth. Die sinnlich triumphierende Frau, dein ewiges Leitmotiv. Aber gut inszeniert, muß ich sagen. Das bringen nicht alle fertig.«
    »Danke. Einige psychopathische Triebe spielen natürlich mit.«
    Denis lächelte. Man munkelte, daß er eine Perücke trug. Als Tanzkritiker hatte er in der Lokalpresse den Ruf eines Kenners.
    Er arbeitete auch für das Radio. Wir waren nicht verfeindet.
    Wir waren sogar gute Freunde.
    »Deine Symbole sind sehr eindeutig.«
    »Sie sollen nicht elitär sein.«
    Denis rollte beide Daumen, wobei er die Richtung ständig umkehrte.
    »Weißt du, ich verfolge deine Kreationen mit Vergnügen.
    Die Neutralisierung männlicher Aggressivität durch weibliche Sexualität ist ein unübliches Thema. Das Schwert als idealisier-ter Ausdruck des männlichen Instinkts… ein phallisches Symbol?«
    »Komm mir nicht mit Freud«, sagte ich. »Freud ist nicht erotisch!«
    Denis lehnte sich zurück und lachte. Sein Lachen war angenehm und keineswegs überheblich.
    »Ich hatte eigentlich Egon Schiele im Kopf.«
    Ich wandte mich wieder dem Spiegel zu.
    »Der gefällt mir schon besser. Jeder, der etwas auf die Bühne bringt, inszeniert seine erotischen Phantasien.«
    »Du bist dabei nicht zimperlich.«
    »Nein. Blutarme Vorstellungen lassen die Zuschauer kalt.
    Die Bilder des Tanzes müssen etwas aussagen.«
    »Eine Poesie im Raum? Eine Sprache, die alle Sinne entfaltet?«
    Ich trug Lippenstift auf und lächelte ihn an. Wir verstanden uns.
    »Und das Denken. Eine Sprache, die das Denken entfaltet.«
    »Die Kritiker zeigen Milde«, stellte Lea fest. »Ihr Moralemp-finden ist etwas überfordert, aber im allgemeinen erntest du Lob.«
    »Clarissa ist entzückt. Alle vier Vorstellungen waren ausver-kauft. Alwin und ich sind völlig ausgepumpt. Außerdem war die Inszenierung kompliziert. Mein Kleid hatte einen besonderen Verschluß, aber Alwins Kostüm wurde wirklich zerschnit-ten. Er mußte jeden Abend ein neues haben. Und ich habe ganz Lausanne abgeklappert, bis ich einen Blumenladen fand, der im Februar weiße Schwertlilien hat.«
    Lea zeigte ihr Mona-Lisa-Lächeln.
    »Warum mußten es ausgerechnet Schwertlilien sein?«
    »Ich weiß es nicht. Es war eine absolute Notwendigkeit.«
    »Dafür gibt es eine Erklärung«, meinte Lea.
    »Du hast immer für alles eine Erklärung bereit.«
    »Psychologie«, antwortete Lea.
    Sie hatte mich mit vierzig Jahren in die Welt gesetzt. »An der äußersten biologischen Grenze«, wie sie sagte. Kaiserschnitt.
    Sie wollte erst tanzen und dann eine Tochter haben. Ein Sohn interessierte sie nicht. In ihren vehement vorgebrachten Be-gründungen zeigte sich ihre Neigung zum Widerspruch. Mein Vater, als er noch lebte, amüsierte sich darüber.
    »Lea, wer dich nicht kennt, mag denken, daß du die Männer haßt. In Wirklichkeit bist du blind für ihre Fehler und taub für die Mahnungen der Vernunft.«
    Wir saßen im
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