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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz
Autoren: Federica de Cesco
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Zuwachs an Ordnung, nicht an Unordnung.«
    »Und was hat das mit deinem Traum zu tun?«
    »Was dir fehlt, ist Geduld. Laß mich ausreden. Was ich dir zu erklären versuche: Es besteht eine Verbindung zwischen deinem und meinem Organismus. Und wenn ich etwas träume, bist du auch in diese Sache verwickelt, ob du willst oder nicht.«
    Ich griff nach einem Mandelplätzchen.
    »Also gut.«
    »Das fing damals in Münster an«, begann Lea. »Als Hitler an die Macht kam. Dein Großvater war ja Deutscher. Daß deine Großmutter aus einer jüdischen Familie kam, fiel erst später ins Gewicht, zumal sie konvertiert war und meine Eltern evange-lisch getraut worden waren. Später, als sie meinen Vater holten und wir fliehen mußten, lernten wir, daß es Augenblicke gibt, wo die ganze Erde zu klein scheint.«
    Leas Gegenwart schuf eine Art Magnetfeld; ihre Mitmen-schen kreisten fasziniert um sie herum. Wie kam das? Ich wuß-
    te es nicht. Und doch lag in ihrem Charme eine Selbstironie, eine Abwesenheit, als sei sie in ihrem tiefsten Innern »nicht da«, obwohl sie so lebendig schien. Sie befand sich gleichsam im Zentrum und draußen, in einer anderen Welt. Zuweilen sah sie aus wie eine Frau ohne Verstand. Das war sehr irritierend.
    »Hitler redete zu viel«, sagte Lea. »Solange Politiker den Mund halten, ist alles bestens. Andernfalls muß man argwöhnisch sein. Laotse sagte: ›Herrscht ein ganz Großer, so weiß das Volk kaum, daß er da ist. Die Werke werden vollbracht, die Geschäfte gehen ihren Lauf, und die Leute denken alle, wir sind frei!‹ Merke dir das, Ruth. Achte auf die Zeichen, sie sind heute wie vor viertausend Jahren gültig.«
    Lea stellte ihre Tasse behutsam auf den Tisch.
    »Hitler also redete. Zu viel und zu laut. Ich war ein Kind, aber seine Stimme beunruhigte mich. Eine Gefahr schwang in seinen Worten, ich spürte es wie ein nahendes Gewitter in der Luft. Damals hatte ich gerade mit Lesen begonnen und liebte Grimms Märchen. Wir hatten ein großes Buch mit schönen, sehr naturalistischen Illustrationen. Weder Hexen noch Ungeheuer raubten mir den Schlaf. Der Kinderfresser aus dem kleinen Däumling brachte mich zum Lachen, Hitler nicht. Mein ganzer Körper krümmte sich vor Angst, sobald ich seine Stimme hörte.«
    Pause. Lea war etwas rot geworden. Sie wedelte sich mit der Papierserviette Luft zu.
    »In dieser Zeit hatte ich den Traum zum ersten Mal. Iris und ich gingen an einem Seeufer spazieren. Ich nehme an, daß ich dabei den kleinen Aasee, bei Gremmendorf, im Kopf hatte, aber das ist unwichtig. In meinem Traum war der See grenzenlos weit, ein zartes Azur, mit weißlichen Reflexen. Iris sang dabei ein Lied, eine lustige, kindliche Weise, die du auch kennst: ›Ene mene ming mang, ping pang, zing zang, ene mene mek – und du bist weg!‹ Auf einmal brach Lärm die Stille: die Stimme eines Mannes, der durch einen Lautsprecher schrie. Ich erinnere mich noch heute, wie mein Herz damals raste. Es war das Böse, das durch meinen Traum schrie und tobte und kreischte. Viele Male auf Erden – und in vielen Ländern – hat der Teufel redegewaltig seine Herrschaft bekundet; die Stimme, die ich hörte, war eine dieser vielen Stimmen. Während ich vor Grauen erbebte, tauchte im Wasser eine Insel auf, eine Insel mit blühenden Schwertlilien – wunderbar und fern. Erreichten wir diese Insel, waren wir gerettet. Iris nahm meine Hand: Wir wanderten auf dem Wasser, wie über einen weichen Teppich.
    Doch die Strömung nahm zu und zog uns in die Tiefe. Ich schrie vor Angst, doch Iris sagte: ›Sei ruhig, wenn ich tot bin, werde ich eine Schwertlilie sein, auf der Insel wachsen und in jedem Frühling blühen.‹ Sie lächelte; die Wellen überspülten sie. Ich sah ihre Gestalt unter Wasser gleiten, wie eine Nixe.
    Und dann war sie fort, und ich schwamm verzweifelt auf die Insel zu. Doch sie löste sich weit draußen in Nebel auf, unerreichbar und unsichtbar. Die Wasser schlugen über mir zusammen…«
    Lea schwieg so plötzlich, daß die Stille in meinen Ohren vibrierte. Sie hatte es mal wieder geschafft, mich zu betören.
    Während ich sie anstarrte, hob ein Atemzug ihre magere Brust unter dem schwarzen Pullover.
    »Das ist der Augenblick, wo ich jedes Mal erwache. Dieser Traum läßt mich nicht los. Auch heute nicht. Inzwischen habe ich gelernt, ihn zu beachten. Er wird mir als Signal geschickt.«
    Ich bemühte mich um einen sachlichen Ton.
    »Stand dieser Traum vielleicht mit Japan in Verbindung, wo du später mit
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