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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz
Autoren: Federica de Cesco
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bronzebraun, die meisten aus Pappmache, einige aus Leder, wundervoll geformt. Ihr Ausdruck war lieblich oder heiter, manchmal auch pervers. Und obwohl sie selten dämonische Züge trugen, erzeugten sie jene unerklärliche, rein meta-physische Ehrfurcht, die jeder Maske eigen ist. Eine Ehrfurcht, nicht durch den optischen Eindruck hervorgerufen, sondern aus einer geistigen Vorstellung entstanden. Mit Vernunft kam man nicht gegen diese Gefühle an, die im Unterbewußtsein lauerten.
    Signora di Lombardi sah die Dinge falsch: Der alte Karneval war nur scheintot gewesen; jetzt war er auferstanden, strahlend schön wie früher. Er hatte sich dem neuen Zeitalter angepaßt, schmückte sich mit Gewändern aus Viskose und Polyester, führte Walkman oder Transistor mit sich, trug schwarzweiße Nike statt Schnabelschuhe. Doch das Merkmal des Vergänglichen war ihm geblieben, die Selbstzerstörung kündigte sich an.
    In dieser Verbindung lag vielleicht der Grund für die niemals rohe, derbe, vielmehr stets zärtliche Gebärdensprache dieses Karnevals, für seine Melancholie. Weil der Tod immer präsent war, weil unter Flitter und Tand Verderben und Verwelken lauerten und sich das Sterben der Blume bereits in ihrer Pracht-entfaltung ahnen ließ. Wo Lebensfreude herrscht, ist der Tod niemals fern. Die Malaria hatte in den vergangenen Jahrhunderten in Venedig schrecklich gewütet. Die Seelen kamen als Masken auf die Erde zurück, vom Wasser getragen. Und welche Stadt war dem Wasser näher als Venedig?
    »Der innere Impuls als sichtbare Reaktion!« Pierre deutete auf Alwin, der unter einer Karyatide kauerte, einem schwarzen, stillen Vogel ähnlich. Er rührte sich kaum, fiel trotzdem auf, durch seine bloße Art zu sein, das Gesicht im silbrigen Nebel langsam zu heben und zu wenden. Die Passanten musterten ihn, verstohlen oder ganz offensichtlich. Er spielte, dafür war er ja gekommen. Ich sagte zu Pierre:
    »Manche behaupten, ein Künstler ohne Engagement sei kein Künstler. Das ist ein Nonsens. Es gibt Menschen, die sich selbst als Kunstwerk betrachten. Es ist eine Art Konfrontation mit dem Leben. Warum auch nicht?«
    Er grinste.
    »Vielleicht ist hier der richtige Ort dafür. Aber ich bin nicht morbid genug. Die einzige künstlerische Schöpfung, die mich interessiert, ist mein Leben.«
    Am Uhrturm der Basilika, auf dem leuchtendblauen Email des Ziffernblatts, sprang der Zeiger auf elf. Mit langen Hämmern schlugen die »Mohren« auf die große Glocke ein. Ein Taubenschwarm wirbelte empor, ein Rauschen wie von Meereswogen kreiste über den Platz. Die »Colombina«, die hübsche Barockfigur, Begleiterin des Arlecchino, hatte ihren großen Auftritt: In ihrem eleganten, mit gelbschwarzen Rauten geschmückten Kleid, eine schwarze Maske über den Augen, schwang sie sich an einem Seil vom Campanile hinüber zum Dogenpalast. Ihre Beine strampelten in ihrer langen weißen Spitzenhose, die Menge kreischte vor Vergnügen. Eine Gasse tat sich auf: Der Erzengel, mit goldenen Flügeln und goldenem Sonnengesicht, schleifte den Teufel am Seil hinter sich her.
    Einer nach dem anderen traten die klassischen Figuren der
    »Commedia del l’arte« in Erscheinung: Il Capitano, grell, arrogant und gespreizt wie ein Streithahn; der ewig lüsterne Panta-lone; der Avvocato (der Rechtsanwalt), Sinnbild des schockier-ten Bürgers; Arlecchino, hüpfend, in seinem Rautenkostüm, mit schwingender Pritsche. Und schließlich Pulcinella, der heilige Narr, der Frühlingstänzer, mit seinem mächtigen Stoffhorn auf Rücken und Brust als deutlich erotisches Signal. Selbstdarstel-lungen aus dem Unbewußten, mit menschlichen Fehlern und Schwächen beladen, prachtvoll kostümiert und der Menge vorgeführt, die sich in ihnen erkannte. Karneval kehrt das Innere nach außen: Der Narr ist niemals ein Dummkopf, sondern das große Symbol der Unschuld und Einfalt – der Mensch in seinem Urzustand, der von dem Sündenfall weiß.
    Das rote Pferd! Da war es wieder, tapsend und schleifend.
    Wir folgten ihm, es zeichnete uns den Weg vor. Wir wanderten den Kanal entlang, blickten zur »Seufzerbrücke« empor, die Dogenpalast und Gefängnis verband, zum Marmorrelief des
    »trunkenen Noah«, im keuschen Schlaf befangen. Über schmale Fußgängersteige und winzige Plätze kamen wir an Bergen von Plastiksäcken voller Müll vorbei, an den Werkstätten von Perlenstickern, Spitzenklöpplerinnen, Glasbläsern. Im Wasser schaukelten halbverfaulte Barken, trostlos und verlassen.
    Manchmal
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