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Sehnsuchtsland

Sehnsuchtsland

Titel: Sehnsuchtsland
Autoren: Inga Lindström
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für ein paar Tage von zu Hause weg gewesen.
    Sie verkrampfte sich unmerklich, als Ingrid den Arm um ihre Schultern legte und sie zum Cabrio begleitete, um zusammen mit ihr das Gepäck zu holen.
    Nicht, dass ihr die körperliche Nähe unangenehm gewesen wäre, im Gegenteil. Es hatte ihr gut getan, ihren Vater und ihre Schwester zu umarmen. So gut, dass sie sich bereits jetzt verfluchte, weil sie überhaupt hergekommen war. Sie sollte schleunigst wieder in ihren Wagen steigen und wie der Teufel nach Stockholm zurückfahren.
    Lena räusperte sich und stellte die nächstbeste Frage, die ihr in den Sinn kam, um die Situation zu entspannen.
    »Wo ist eigentlich dein Mann?«
    »Sören ist in Akersund auf der Bauernmesse. Es wird ihm Leid tun, dass er dich nicht sehen kann.«
    Lena fasste diese Äußerung so auf, wie sie vermutlich gemeint war: als reine Höflichkeitsfloskel. Sie kannte ihren Schwager kaum. Während der Hochzeit ihrer Schwester hatte sie sich auf einem Flug nach New York befunden, und als Lasse getauft worden war, hatte sie mit einer Darmgrippe in einem Hotel in Djakarta festgesessen. Später hatte Sören seine Frau zwei- oder dreimal nach Stockholm begleitet, aber bei diesen kurzen Stippvisiten hatten sie einander nicht gut genug kennen gelernt, um verwandtschaftliche Gefühle füreinander zu entwickeln.
    Sie nahm den Koffer an sich, während Ingrid die Reisetasche vom Rücksitz hob. Während sie gemeinsam zum Haus gingen, meinte Ingrid inbrünstig: »Ich bin froh, dass du kommen konntest.«
    Lena warf einen Blick über die Schulter hinüber zu ihrem Vater. Er war auf seinem Weg zum Stall stehen geblieben und schaute ihnen nach. Sein Gesicht war aufgewühlt und zeigte eine Mischung aus Schmerz und Freude.
    Lena spürte einen wachsenden Kloß in der Kehle. Mit gespielter Munterkeit wandte sie sich wieder ihrer Schwester zu. »Eine andere Möglichkeit hatte ich ja wohl nicht nach deinem Anruf. Schämst du dich wenigstens ein bisschen?«
    Ingrid grinste nur. Unterdessen pirschte sich Lasse von hinten an seinen Großvater heran und stupste ihn an. Wie erhofft, fuhr Björn überrascht zusammen und brachte Lasse damit zum Kichern.
    »Tut dein Arm noch weh, Großvater?«
    Björn zauste dem Kleinen die Haare. »Halb so wild.« Er sah seine beiden Töchter ins Haus gehen und dachte in schwacher Selbstironie, wie dämlich es doch von ihm war, dass er sich nicht schon viel früher etwas gebrochen hatte.

    *

    Lena war sicher, dass jede Gefühlsregung überdeutlich von ihrem Gesicht abzulesen war, denn anderenfalls hätte Ingrid nicht so angestrengt zur Seite geblickt, während sie beide das Wohnzimmer betraten.
    »Lieber Himmel«, sagte sie, ohne sich weiter die Mühe zu machen, ihre Erschütterung zu verbergen. »Es hat sich nichts verändert.«
    Ingrid trat zu ihr und schlang die Arme um sie. »Doch«, flüsterte sie dicht neben Lenas Ohr. »Wir sind erwachsen geworden.«
    Lena machte sich sanft los und ging zum Klavier. Während sie ein paar Töne anschlug, schaute sie sich um. Es war wie früher. Die Wände waren irgendwann frisch gestrichen worden, aber in demselben Pastellgelb wie damals. Es war die Farbe, die ihre Mutter so sehr gemocht hatte. Leuchtend blaue Vorhänge vor den Fenstern, gemusterte Teppiche auf den Holzplanken des Fußbodens, die hellen Holzmöbel. Als Zeichen des Willkommens hatte ihre Schwester mehrere bunte Blumensträuße aufgestellt.
    Lena ließ ihre Finger klimpernd über die Tastatur des Klaviers gleiten. »Es ist gestimmt«, stellte sie erstaunt fest.
    »Papa hat immer darauf geachtet«, sagte Ingrid ruhig. »Aber gespielt hat er nicht mehr, seit du weggegangen bist.« Sie trat neben das Klavier. »Wie geht es dir in der großen, weiten Welt, Lena? Macht es immer noch Spaß, jeden Tag woanders zu sein?«
    Lena meinte, einen leisen Klang von Bitterkeit in der Stimme ihrer Schwester zu hören. Sie hörte auf zu spielen und schaute auf den Boden. »Du weißt es doch, ich wollte immer nur fliegen... Es ist mein Traumberuf.«
    »Und was ist mit deinem Freund?«, forschte Ingrid. »Es gibt ihn doch noch, diesen Piloten? Malte — oder? Als wir das letzte Mal telefonierten, hattet ihr euch gerade kennen gelernt.«
    »Ja, es gibt ihn noch.«
    »Und, werdet ihr heiraten? Wollt ihr Kinder? Oder...«
    »Ich bin Stewardess«, fiel Lena ihr ins Wort. »Und er ist Pilot.« Da ihr das selbst als Erklärung nicht ganz ausreichend erschien, fügte sie hinzu: »Wir haben nicht einmal eine gemeinsame
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