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Seeraeuber vor Sylt

Titel: Seeraeuber vor Sylt
Autoren: Cornelia Franz
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doch viel zu gefährlich. Selbst die alten Koggen, die ein gutes Stück kleiner waren, mieden das Meer vor den Inseln.
    Der Bärtige schien seine Gedanken erraten zu haben. »Da habt ihr aber Glück gehabt, dass uns der Sturm fast auf Sylt draufgepustet hätte.«
    »Wollt ihr nach Schweden?«, fragte Jaike. Auch sie versuchte, mit einem Blick zu erfassen, auf was für einem Schiff sie eigentlich gelandet waren.
    Die Miene des Alten wurde finster. »Wer viel fragt, wird nicht alt«, knurrte er. Dann stieß er Broder mit dem Fuß an. »Auf jetzt! Der Käpt’n wartet auf euch.«
    Er brachte die beiden zum Vorderdeck, wo das Kastell aufragte, ein hölzerner Aufbau, in dem der Kapitän seinen Schlaf- und Arbeitsraum hatte.
    Broder hatte noch nie eine Kapitänskajüte von innen gesehen. Er kannte nur die einfachen Fischerboote. Als der Bärtige sie in den düsteren Raum schubste, sah er sich vorsichtig um. Er versuchte, nicht allzu neugierig zu wirken. Die Worte des Alten hatten wie eine Warnung geklungen.
    Bevor Broder und Jaike sich lange umschauen konnten, schlug die Tür wieder auf. Es war der Kapitän, der da plötzlich im Türrahmen stand. Sein Gesicht war im Halbdunkel des Kastells kaum zu erkennen. Aber er wirkte trotzdem Ehrfurcht gebietend in seinem schwarzen Mantel und den hohen Lederstiefeln. Er war groß und breitschultrig wie viele Männer aus dem Norden.
    Er musterte die beiden Kinder ein paar Sekunden lang. »Wo kommt ihr her?«, fragte er dann.
    »Aus Rantum von der Insel Sylt«, gab Jaike zur Antwort. »Und wo sind wir jetzt?«, fügte sie mutig hinzu.
    Der Kapitän sah sie wortlos von oben bis unten an, von ihren strähnigen blonden Haaren bis zu dem immer noch nassen Leinenkleid und den wollenenStrümpfen. Die Holzschuhe hatte sie beim Klettern an Bord verloren.
    »Auf der Rosenboom«, sagte der Kapitän. Dann wandte er sich dem Bärtigen zu. »Das Mädchen hilft dir beim Essenmachen, Ouwe. Der Junge geht in die Takelage.«
    Damit war das Schicksal von Jaike und Broder besiegelt. Sie würden an Bord arbeiten müssen, bis das Schiff einen Hafen anlief. Wie sie dann wieder nach Hause fanden, war ihre Sache. Denn dass der Kapitän nur wegen zweier armseliger Kinder auf Sylt zudrehte, daran war nicht mal im Traum zu denken.
    Der bärtige Ouwe, der Jaike mitnahm, war zum Glück nicht ganz so wortkarg, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Als er ihr im Kastell auf dem Achterdeck die Kochkiste mit der Feuerstelle zeigte, erfuhr sie, was mit seinem Arm passiert war.
    »Gebrochen hab ich ihn mir, ich Döskopp!«, fluchte er. »Wegen dieses vermaledeiten Sturms gestern Nacht. Ich bin ausgerutscht wie eine Landratte und gegen den Großmast geknallt.« Er hob seinen linken Arm. »Und mit diesem Flunken allein kann ich keinen Speck braten.«
    »Das übernehme ich. Und ich mache Spiegeleier dazu, wenn du mir zeigst, wo die Eier sind.«
    Ouwe verzog das Gesicht. »Eier? Was glaubst du, wo du bist? Wir sind seit Wochen auf See. Eier haben wir das letzte Mal irgendwo vor Holland gegessen. Und auch die waren schon faul. Unsere Hühner hab ich schlachten müssen. Der verdammte Händler hat mir irgendwelche Viecher angedreht, die kein einziges Ei gelegt haben.«
    »Wo kommt ihr denn her?«, fragte Jaike.
    Doch Ouwe antwortete nicht. Es war klar: Fragen waren hier nicht erwünscht. Der Schiffskoch zeigte auf den riesigen Schinken, der von der Decke baumelte, und drückte Jaike ein Messer in die Hand. »Schneid ein paar ordentliche Scheiben ab. Die Männer haben heute noch nichts in den Magen gekriegt.«
    Eine Stunde später schleppte Jaike die schwere Pfanne mit den Speckstreifen an Deck. Auch die Tonkrüge mit Wasser musste sie alleine tragen. Ouwe ging es nicht gut. Er hockte in einer Ecke auf einem Bierfass und der Schweiß rann ihm über die Stirn. Jaike hatte sich seinen Arm angeschaut. Er war nicht nur gebrochen, sondern hatte auch eine tiefe Wunde davongetragen. Sie hatte die Wunde ausgewaschen, so wie sie es von ihrer Mutter gelernt hatte. Ouwe hatte sich die Lippe blutig gebissen, um nicht laut aufzustöhnen.
    Doch jetzt, als es ans Essen ging, rappelte er sich hoch. Er nahm das Bierfass und wuchtete es sich nur mit einem Arm auf die Schulter.
    »Lass doch«, meinte Jaike, als sie sein schmerzverzerrtes Gesicht sah. »Das kann doch jemand anders holen.«
    Ouwe lachte nur ein bitteres Lachen. »Unnütze Esser gehen hier schneller über Bord, als du denken kannst, Mädchen.« Obwohl er das schwere Fass trug,
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