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Seeraeuber vor Sylt

Titel: Seeraeuber vor Sylt
Autoren: Cornelia Franz
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sich über ganz Sylt breitzumachen schien. In Rantum beschwerte sich niemand über den Gestank. Die Menschen verdienten mehr mit dem Torf und dem Salz als mit den Fischen, die sie aus dem Meer holten.
    Aber Broder war froh, dass der Sturm den stinkenden Rauch wegfegte. Frisch und kühl war die Luft. Voller Übermut lief er dem Unwetter und der Brandung entgegen und sang lauthals alte Friesenlieder gegen den Wind. Dies war genau das Wetter, das ihnen vielleicht Glück bringen würde!

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    Die Schatzkiste
    Außer Atem ließen sich Jaike und Broder in den nassen Sand fallen. Sie drückten sich bäuchlings gegen die Düne und schauten über die Kuppe hinaus auf die See.
    »Genau so muss es sein«, sagte Jaike und wischte sich den Schweiß mit dem Ärmel ihres Leinenkleides von der Stirn. »Sturm und trotzdem Ebbe. Da kann man den Sandbänken kaum ausweichen. Selbst wenn man weiß, wo sie sind.«
    Broder kicherte. »Und die fremden Kapitäne, die kennen sich ganz und gar nicht aus. Sagt Pidder jedenfalls.«
    »Klar kennen die sich nicht aus. Das weiß jeder im Dorf. Die sind ja aus Venedig!« Jaike klang naseweis, obwohl sie keine Ahnung hatte, wo dieses Venedig lag. Aber immerhin hatte sie über die Handelsschiffe, die aus dem fernen Land kamen, schon eine ganze Menge gehört. Es hieß, sie wären randvoll mit Kostbarkeiten beladen: mit Seide und Elfenbein, Parfüm und Juwelen. Manche fuhren bis nachSchweden hoch – aber falls man Glück hatte, kamen sie nicht so weit.
    Jaike beobachtete die grauen Wellen. Wenn sich das Meer bei Ebbe zurückzog, dann ragten die Sandbänke als schmale, helle Inseln aus dem Wasser. Aber bei so einem Seegang, wie er jetzt herrschte, war es fast unmöglich, die tückischen Untiefen vorauszuahnen.
    Broder kniff die Augen zusammen. »Kein Schiff zu sehen«, murmelte er. »Kein Mast weit und breit.« Enttäuscht rollte er sich auf den Rücken. Er ließ sich die Regentropfen ins Gesicht pladdern. Seine wollene Jacke und die Hose waren durchnässt, aber das störte ihn nicht. Schlimmer war der Hunger, der ihn jetzt wieder packte. Unwillkürlich drückte er sich die flache Hand auf den Magen.
    »Hätt ich dich mal deinen Fisch braten lassen«, sagte Jaike mitleidig. Sie kannte diese Geste bei Broder und wusste, was sie bedeutete.
    »War schon richtig so«, antwortete er. »Wenn wir abwarten, bis sich der Sturm verzogen hat, ist der Strandvogt vor uns da. Aber wenn es so schüttet wie jetzt, lässt der sich nicht blicken.«
    Grimmig ballte Jaike die Faust. »Ich hab so gehofft, dass diesmal eins der dicken Schiffe auf Grundläuft«, murmelte sie. »Der Pfarrer hat am Sonntag den Strand gesegnet, damit endlich mal ein richtiger Sturm aufkommt. Wenn Gott mit uns ist, dann muss er uns doch mal einen ordentlichen Pott schicken. Beim letzten Sturm hab ich nichts als ein paar Planken aus dem Wasser gefischt. Die sind schon längst im Herdfeuer gelandet.«
    Broder lachte. »Vielleicht ist Gott ja mit den Venedigern – so stinkereich, wie die sind, kann man das schon glauben.«
    »Venezianer heißt das, du …!« Jaike brach ab. Sie packte Broder beim Arm. Mit der anderen Hand zeigte sie in Richtung Meer. »Sieh nur! Da hinten auf Tades Eiland!«
    Tades Eiland war eine der großen Sandbänke, die man bei Ebbe tatsächlich für eine Insel halten konnte. Sie hatte ihren Namen nach dem Einsiedler Tade bekommen, der von Hamburg nach Sylt gekommen war, um die Einsamkeit zu suchen. Als er die Sandbank sah, wollte er ausgerechnet dort seine Hütte bauen. Dum und dwylsinnich sei er gewesen, erzählten sich die alten Leute in Rantum, komplett verrückt. So verrückt, dass er gegen jede Warnung bei Ebbe rausgerudert war, um sich dort eine hölzerne Bude zu zimmern. Und so war er noch am selbenTag, als die Flut kam, mitsamt seinen Brettern in den Wellen verschwunden.
    Broder folgte Jaikes Blick. Jetzt entdeckte auch er, was sie meinte. Irgendetwas hatte sich dort in den Sand gegraben. Immer wenn sich die Wellen für einen Moment zurückzogen, war es zu sehen. Dort, auf Tades Eiland, war etwas gestrandet!
    In der nächsten Sekunde sprang Broder auf die Füße. »Schnell, das Boot!« Und schon rannte er die Düne hinunter zum Strand, wo mit Steinen beschwert das Ruderboot des ollen Pidder lag. Noch im Sommer war der Alte damit selbst rausgefahren, um Strandgut abzufischen. Aber seitdem hatte ihn das Reißen in den Knien so sehr gepackt, dass er nur noch im Trocknen blieb und Fischernetze entwirrte. Ab und zu,
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