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Seepest

Seepest

Titel: Seepest
Autoren: Manfred Megerle
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Lächeln war damals offenbar
nicht die von ihr erhoffte Reaktion gewesen. Um die letzten Reste seiner
Skepsis auszuräumen, hatte sie angefügt: »Sehen Sie’s doch mal so, Leo: Wir
machen uns einen angenehmen Abend im Comturey-Keller auf der Mainau, und ich
verspreche Ihnen, dass Sie es dort nur mit angenehmen Kollegen zu tun haben
werden. Sowieso sind von unserem Verband nur die Mitglieder der Regionalgruppe
Süd geladen, deren Vorsitz ich ausübe. Sie werden an meiner Seite sitzen – was
soll Ihnen also schon groß passieren?«
    Ja, damals schien das alles noch in weiter Ferne.
Außerdem, er gab es unumwunden zu, hatte ihm ihre Anfrage sogar ein bisschen
geschmeichelt. Letztendlich hatte er zugestimmt – um die ganze Angelegenheit
sogleich zu vergessen. Bis vor zwei Wochen. Da war er in seinem Kalender auf
den ominösen Eintrag »Tagung mit Franzi« gestoßen und hatte sich mit Grausen an
sein Versprechen erinnert.
    Nicht dass er etwas gegen Rechtsmediziner im
Allgemeinen oder deren Jahrestagungen im Besonderen gehabt hätte – wohl aber
gegen den verabredeten Auftritt als Redner. Voller Hektik hatte er begonnen,
Material zu sammeln. Wenn sich das Ganze schon nicht verhindern ließ, dann
wollte er die versammelten Koryphäen wenigstens mit spektakulären Fällen
beeindrucken, die das Wechselspiel zwischen Ermittlern und Rechtsmedizin
nachdrücklich belegten. Ein mehrseitiges Redemanuskript war die Folge gewesen,
dessen Entstehung ihn einige schlaflose Nächte gekostet hatte. Wann immer sich
danach eine Gelegenheit bot, hatte er an dem Text gefeilt, ihn korrigiert und
erweitert und vor einer imaginären Hörerschaft halblaut vorgetragen.
    Zwar hielt er die ausgewählten Fallbeispiele für
überaus beeindruckend, zumal er sie mit zahllosen Fakten untermauert hatte.
Würde er sie aber auch fesselnd vortragen können? Oder würden die vielen auf
ihn gerichteten Augenpaare ihn so sehr hemmen, dass er sich verhedderte? Allein
bei dem Gedanken daran brach ihm der Schweiß aus. Fahrig lockerte er den Knoten
seiner Krawatte – eine Leihgabe seines Freundes und Vorgesetzten Ernst Sommer,
denn er selbst besaß seit Jahr und Tag keinen Binder mehr – und öffnete den
obersten Hemdknopf.
    In diesem Augenblick kehrte auch Franzi Reichmann an
ihren Tisch zurück. Kopfschüttelnd blieb sie vor ihm stehen, die Hände in die
Hüfte gestemmt, den Mund zu einem breiten Lächeln verzogen.
    »Also, ohne Ihr Barett kommen Sie mir immer noch total
fremd vor, Leo. Fast wie amputiert, wissen Sie das?«
    Wolf überging ihre Bemerkung. Noch immer hatte er das
ungläubige Gesicht vor Augen, das sie gemacht hatte, als sie sich vor knapp
einer Stunde getroffen hatten. Und er konnte es ihr nicht einmal verdenken.
Wenn jemand Jahr und Tag mit einer so ausgefallenen Kopfbedeckung herumlief wie
er, dann waren die Mitmenschen zu Recht erstaunt, ihm plötzlich barhäuptig zu
begegnen. Dabei war sie kein modischer Gag, sondern sollte lediglich eine Kahlstelle
auf seinem Kopf verdecken, die er sich vor einigen Jahren bei der Festnahme
eines Messerstechers zugezogen hatte und die seitdem die Blicke förmlich auf
sich zog. Da hatte sich das Barett als äußerst hilfreich erwiesen, zumal es
seinem Faible für alles Frankophile entsprach. Doch schnell war ihm
aufgegangen, dass er mit diesem Ding auf dem Haupt unmöglich hier auftreten
konnte – man hätte sich vermutlich eins gegrinst und ihn einen weltfremden
Sonderling genannt. Zum Glück war sein Friseur kreativ genug gewesen, ihm zu
diesem Anlass ein passendes Haarteil zu basteln. »Diesen einen Abend wird’s
wohl halten«, hatte der Figaro bemerkt, als er sein Kunstwerk auf die
Kahlstelle geklebt und mit ein paar Kammstrichen geschickt kaschiert hatte.
    Beruhigend legte Franzi ihre linke Hand auf Wolfs Arm – für ihn der Beginn der sich ankündigenden Katastrophe.
    »Kopf hoch, Leo, Sie schaffen das«, flüsterte sie,
»schließlich sind Sie exzellent präpariert. Außerdem hab ich Sie bewusst ans
Programmende gesetzt, da sind viele Teilnehmer mit dem Kopf schon ganz
woanders. Und vergessen Sie nicht, ich bin auch noch da. Nur soufflieren kann
ich Ihnen nicht, aber das wird auch nicht nötig sein. Sie werden sehen, wenn
Sie erst mal da vorn stehen«, sie wies unbestimmt in Richtung des Rednerpultes,
»dann ist das Lampenfieber wie weggeblasen, das geht uns allen so.«
    »Ihr Wort in Gottes Ohr«, nickte Wolf mit trockenem
Mund.
    Franzi Reichmann erhob sich, klopfte mit einem Messer
an ihr
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