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Seelenmoerder

Titel: Seelenmoerder
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hielt, der aus seiner Brust ragte.
    Doch Abbie hatte nur noch Augen für ihre Schwester. »Callie!«, rief sie. Blut floss aus dem Loch in Callies Rücken, und eine grässliche Angst wallte in ihr auf. Sie ignorierte das Chaos um sie herum, riss einen Streifen von ihrem Hemd ab und presste den zusammengefalteten Stoff gegen den Blutstrom, während sie zu einem Gott betete, der regelmäßig abwesend zu sein schien, wenn es um ihre Schwester ging.
    »Halt durch. Bitte halt durch«, flehte sie. »Komm schon, Cal.« Mit einer Hand hielt Abbie den Druck gegen Callies Wunde aufrecht, während sie sich auf den Boden legte, um ihr ins Gesicht sehen zu können. »Schau mich an. Mach die Augen auf. Ich bin’s, Abbie.«
    Callies Lider flatterten, blieben jedoch geschlossen. Ihre Lippen bewegten sich, ohne dass Worte herausdrangen. Als
Abbie ihre Hand drückte, hatte sie das Gefühl, als bewegten sich die Finger ihrer Schwester. Erwiderten ihren Händedruck.
    »Alles wird gut«, flüsterte Abbie. »Alles kommt wieder ins Lot.« Sie waren erneut acht und zwölf Jahre alt, klammerten sich in der Finsternis aneinander und wiegten sich zum Trost, noch lange nachdem ihr Vater eingeschlafen war. »Jetzt wird alles wieder gut.«
    Doch die Worte klangen heute so hohl wie damals.
    »Komm, Abbie. Sie kümmern sich um Callie. Komm jetzt.« Sie wehrte sich gegen die Hände, die sie unerbittlich von der Seite ihrer Schwester wegzogen, und musste doch hilflos zusehen, wie uniformierte Beamte ihren Platz einnahmen.
    »Bist du verletzt?« Sie erkannte Rynes heisere Stimme, spürte seine Hände suchend über ihren Oberkörper gleiten und reagierte mehr auf das Gefühl als auf die Worte. »Nein. Mir fehlt nichts.«
    Er fluchte leise. »Du blutest aber.«
    Benommen wandte sie den Blick von ihrer Schwester ab und sah an sich hinunter. Sie hatte Blut am Handgelenk. Und am Fuß. »Das sind nur Schnittwunden. Mir fehlt nichts.« Sie drehte sich wieder zu ihrer Schwester um. »Wie geht es ihr?«, fragte sie den Officer neben ihr. »Ist sie …« Noch am Leben. Außer Gefahr. Ihr zog es den Brustkorb zusammen, und sie brachte kein Wort heraus.
    »Sie hält sich wacker«, versicherte ihr der Beamte.
    Als sie eine Sirene näher kommen hörte, ließ sie sich gegen Ryne sinken, dankbar für die Stütze. »Ich möchte sie begleiten. Im Krankenwagen. Ich muss bei ihr sein.«
    Er hielt sie so fest in den Armen, dass ihre Worte dumpf an seine Brust drangen. »Ich muss mit ihr fahren«, sagte sie, diesmal mit mehr Nachdruck.

    Ryne senkte den Kopf und sprach mit rauer Stimme in ihr Ohr. »Sie lassen dich nicht im Krankenwagen mitfahren.« Ihr Kinn ruckte trotzig nach oben, doch er kam ihren Einwänden zuvor. »Ich werde dich hinbringen. Wir fahren direkt hinter ihnen her.«
    Stockend atmete sie aus, während sie den Kopf reckte, um ihre Schwester nicht aus den Augen zu verlieren. »Er wollte mich treffen, aber sie hat sich in die Schusslinie geworfen. Mein ganzes Leben lang hat sie auf die eine oder andere Weise den Kopf für mich hingehalten. Wie kann man jemandem dafür danken? Wie zahlt man ein solches Opfer zurück?« Ihre Stimme brach unter zwanzig Jahre lang angestauten Tränen.
    Er wiegte sie ein wenig, und sie spürte seine starken Arme, die ihr wohlige Geborgenheit schenkten. »Man lebt einfach weiter.« Seine Lippen streiften ihre Stirn. »Mehr kann man nicht verlangen.«

Hillside Estates Hospital, Virginia Drei Monate später
    »Callie schien es gut zu gehen.« Ryne zuckte die Achseln, als ihn Abbie von der Seite ansah. »Sie ist immer noch Callie. Nur nicht mehr so extrem, weißt du?«
    Sie warf ihm ein ironisches Lächeln zu. »Ja, ich weiß schon, was du meinst. Sie macht Fortschritte.«
    Das Herbstlaub raschelte unter ihren Füßen, als sie zum Parkplatz zurückschlenderten, doch das Wetter war noch ziemlich mild, sodass lange Ärmel ohne Jacke reichten. Der Indian Summer war jedes Jahr aufs Neue ein schönes Geschenk.
    Abbie hatte eine noch viel längere Liste von Dingen, für die sie dankbar war.
    Ihre Schwester hatte die Notoperation tapfer überstanden und härter für die Wiederherstellung ihrer Schulter gearbeitet, als alle Beteiligten erwartet hätten. Weniger bereitwillig hatte sie sich allerdings mit ihrer seelischen Gesundheit beschäftigt.
    Abbie verzog das Gesicht beim Gedanken an die unangenehmen Szenen, die sich vor wenigen Wochen zwischen ihnen abgespielt hatten, bis sie ihre Schwester endlich dazu überredet hatte, sich wegen
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