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Spiel des Todes (German Edition)

Spiel des Todes (German Edition)

Titel: Spiel des Todes (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
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Herbst 2010, Justizvollzugsanstalt Stadelheim
    »Sind Sie verheiratet?«, frage ich ihn.
    »Nein.«
    »Sind Sie geschieden?«
    Schweigen.
    »Also unverheiratet. Ledig.«
    »Gewissermaßen, ja. Meine Frau wurde ermordet.«
    Die Frau hieß Clara. Ein perfekter Name für ein Mordopfer.
    Wieder einmal bin ich Kriminalrat Ottakrings Spuren gefolgt und auf
Dr. Adrian Luger gestoßen, den international bekannten Banker. Ich habe mich
über eine Stunde mit ihm unterhalten. Luger erwies sich als gescheit und
gebildet. Er war ein Raubtier der internationalen Finanzwelt, rassig, arrogant,
brillant – gewesen.
    Seit letztem Jahr sitzt er im Gefängnis. Zu acht Jahren und sechs
Monaten Haft verurteilt wegen Milliardenbetrugs. Die Richterin sprach Luger
mildernde Umstände zu, denn er war geständig gewesen, hatte mit den Behörden
kooperiert, Reue gezeigt und nicht zu fliehen versucht.
    Die Richterin – eine einhundertneunundvierzig Zentimeter große
Person mit Kurzhaarschnitt und leiser Piepsstimme – war mit mehr als hundert
Briefen von Opfern überschüttet worden, die meisten geprägt von
Fassungslosigkeit und Hass. Zu den Opfern zählten auch zahlreiche prominente
Politiker, Filmstars, Sportler und Wirtschaftsgrößen, was für Medien und Öffentlichkeit
ein gefundenes Fressen war. Schadenfreude leuchtete wie Vollmond in
tiefschwarzer Nacht durch die Gazetten. Rund eine Milliarde Euro konnte aus
Lugers Privatvermögen sichergestellt werden. Ein Großteil der Anlegersumme gilt
jedoch als verloren.
    Dass er geschieden war und seine einstige Ehefrau tot, erfuhr ich
erst von Luger selbst. Ich war längere Zeit im Ausland gewesen und hatte die
Meldungen nicht verfolgt. Mehr oder weniger ahnungslos war ich zu ihm in den
Bau gekommen.
    Luger starrt mich aus großen Augen an.
    »Was ist?«, frage ich. »Hab ich ein Loch in der Stirn?«
    »Diese Tränensäcke«, sagt er. »Und Ihre schiefe Nase. Unglaublich.«
    Na klar. Wenn man so gut aussieht wie Luger, fällt einem so etwas
auf. Ich erhebe mich und gehe.
    Seine ermordete Exfrau hieß Clara Gray, und ihre Geschichte beginnt
im Januar 2001.

EINS
    An einem Tag ist alles leer, dann wieder kommen sie in Scharen.
Die beiden leuchtend gelben Wagen der Zahnradbahn auf den Wendelstein waren
voll. Kein Sitzplatz war mehr frei. Seltsamerweise wollte ausgerechnet an
diesem frostigen, ereignislosen Tag alle Welt auf den Berg. Es schneite, und
die Luft war eiskalt, obwohl das Thermometer an der Außenwand der Talstation
nur drei Grad minus anzeigte. Wind trieb die Flocken gegen die vier hohen, schmalen
Bogenfenster, deren Bleiglas viel bleiches Winterlicht in die Innenhalle ließ.
Die Flocken schmolzen an den Scheiben und bildeten schmale Rinnsale.
    Maria Schwarz warf die Haare nach hinten, schob die Tür der
Führerkabine zurück und blickte über den Bahnsteig nach hinten.
    »Hey, wann kommt der endlich?«, rief sie Roland, ihrem Kollegen, zu.
Roland trug die Dienstkleidung der Wendelsteinbahn, einen blauen Anorak mit
Aufdruck und dunkler Hose, und saß im Rollstuhl, in dem er nervös auf und ab
fuhr. »Ich kann nicht ewig warten. Um zwölf ist Abfahrt.«
    »Keine Ahnung. Mir wissen von nix. Aber so ein Herr ist halt
gewohnt, dass alle strammstehen und warten, bis er da ist.«
    Maria fuhr die Tür wieder zu, streifte die wollenen Diensthandschuhe
über und schlang die Arme fröstelnd um den Leib. Elf Uhr fünfundfünfzig,
sechsundfünfzig, siebenundfünfzig. Sie nahm den Blick nicht vom Rückspiegel.
    Dann sah sie Roland mit den Armen fuchteln und etwas rufen. Sie
schob die Tür wieder auf. »Kimmt er endlich, Roland?«
    Die Frage beantwortete sich von selbst. Drei kindsgroße Figuren,
bemalt, behängt und maskiert, trippelten auf den Bahnsteig. Caspar, Melchior
und Balthasar, die Heiligen Drei Könige, rannten zum hinteren Wagen, jemand
öffnete ihnen die Tür von innen, und sie sprangen hinein.
    Als Kind hatte sich Maria auch als einer von ihnen verkleidet und
Äpfel, Kuchen und kleinere Geldbeträge bei den Nachbarn eingesammelt. Die
Sternsinger waren heute, am Heilig-Drei-Königstag, allgegenwärtig.
    Ein großer, athletischer Mann – elegante dünne Lederjacke und
ungeeignet dünne Schuhe – kam mit der Technik der Eingangssperre des
Talbahnhofs nicht zurecht. Er hatte Mühe, sich in Hast hindurchzuzwängen.
Kurzerhand hechtete er mit einer perfekten Flanke über die Sperre. Dann setzte
er sich in Trab, riss den Arm hoch und checkte im Laufen seine Armbanduhr.
Roland raste im
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