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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten
Autoren: Michael Theurillat
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Besonderes gemeldet.«
    »Dann ist ja gut.« Lara war erleichtert.
    In den letzten Wochen hatte es mehrmals einen Bombenalarm in der Gegend gegeben. Das Viertel war abgesperrt worden, und es hatte von Sicherheitskräften nur so gewimmelt. Passiert war nie etwas. Man munkelte schon, die privaten Security Offices , die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, hätten die Falschmeldungen initiiert.
    »Und denken Sie an den Tee für Ihre Schwester«, sagte Ira, während sie ihrer Chefin die paar Schritte zum Aufzug folgte.
    »Sicher«, murmelte Lara. Wenn sie den direkten Weg nehmen konnten, blieb genügend Zeit. Sie würde den Earl Grey von Fortnum & Mason am City-Airport besorgen. Charlotte liebtediesen schwarzen Tee in der grünen Alubox, der nach Rauch und Bergamotte duftete. Und wenn die Büchsen leer waren, dienten sie ihrer Schwester als Gefäß für die tausend unnützen Sachen, die sie aufbewahrte. In einen der Behälter hatte sie sogar einen kleinen Kaktus gepflanzt! Ja, sie waren so unterschiedlich, wie man es als Geschwister nur sein konnte. Aber Lara liebte ihre ältere Schwester über alles. Und sie vermisste die Zeit mit ihr, ihr Lachen und das Chaos, das Charlotte umgab.
    »Der Aufzug kommt gleich«, sagte Ira.
    Lara nickte. Eigentlich mochte sie Leute nicht, die das Offensichtliche aussprachen: »Der Aufzug kommt.« – »Es ist kalt draußen.« – oder: »Es dauert schon eine Weile, seit wir das Essen bestellt haben.« Wenn man nichts Interessantes zu berichten hatte, sollte man schweigen, fand sie. Doch Ira schwieg nie. Sie war nun einmal so, ändern ließ sich das nicht. Sie war eine Seele von Mensch. Lara wusste es. Und manchmal beneidete sie Ira darum, dass der Zynismus der Finanzwelt an ihr abperlte wie Wasser an einer Fischerkutte.
    »Der Aufzug ist da«, sagte Ira und hielt ihr die Tür auf. »Ich wünsche Ihnen eine gute Reise, Madam.«
    In der Tiefgarage wartete Randolph neben dem Bentley. »Na endlich«, sagte er, nahm das Gepäck und verstaute es im Kofferraum.
    »Wir können die normale Route nehmen … Es reicht bestimmt.« Lara setzte sich in den Fond des Wagens.
    Randolph schloss die Tür. »Ich weiß«, presste er durch seine schmalen Lippen, dann fuhren sie los.
    Randolph Maxwell war schon der Fahrer ihres Vaters gewesen. Groß, hager und steif wie ein Bügelbrett. Für Lara war Randolph immer alt gewesen. Eine Großvaterfigur; und er gehörte zur Familie, seit sie denken konnte.
    Kurz vor halb sechs passierte Lara die Sicherheitskontrolle am City-Airport, und eine Viertelstunde später startete die Avro RJ 100 in Richtung Zürich.

3
    Z weiundzwanzig Minuten schon …«, keuchte Eschenbach. »Das dauert jetzt aber lang.«
    Die Ehrentribüne stand in dickem, beißendem Rauch. Überall hustete und röchelte es. Zögernd standen ein paar Leute auf, schauten sich um.
    »Muss man hier eigentlich aushalten?«, fragte Wowereits Begleitung. Er hielt sich den Ärmel seines Wollsakkos vor die Nase.
    »Was ist jetzt der Plan?«, zischte Kobler. Sie sah Eschenbach vorwurfsvoll von der Seite an. »Für solche Fälle muss es doch ein Dispositiv geben.«
    »Natürlich«, der Kommissar nickte. Es gab neuerdings für jedes Quartierfest ein Dispositiv. Die Angst um die Sicherheit hatte die Dispositive gepachtet, und Michel Foucault, der große französische Philosoph, hätte sich im Grabe umgedreht, wenn ihm zu Ohren gekommen wäre, was man mit seinem Begriff alles angestellt hatte. Es gab Weisungen und Pläne. Aber für den Wind vom See, der den Rauch eines schlecht brennenden Böögs auf die Tribüne fegte … Eschenbach zuckte die Schultern. »Man sollte trockenes Holz nehmen.«
    »So was können Sie sich bei der EURO 08 aber nicht leisten.« Einer der deutschen Polizeiobersten schaute ihn streng an.
    »So ein Mist …« Kobler hustete in ihren blauen Umhang.
    »Vierundzwanzig Minuten«, zählte Eschenbach und stand auf. »Jetzt wird’s garstig.«
    Der Böög flackerte hinter schwarzem Rauch. Flammen und Ruß hatten den Schneemann dunkel eingefärbt. Mit seinem Hut glich er einem Kaminfeger.
    »Runter von der Rampe«, sagte jemand. Es klang wie ein Befehl.
    »Mir wird schlecht«, stöhnte eine Frauenstimme.
    Hustend suchten sich die Leute einen Weg von der Tribüne hinunter auf den Platz. Sie taten es geordnet, ohne Panik. Eschenbach wunderte sich. Er kannte es anders aus Fußballstadien und von Popkonzerten. Menschen, die andere niedertrampelten, in animalischer
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