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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten
Autoren: Michael Theurillat
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geführt?«
    Der Kommissar zeigte ihm die Liste. »Der Rekord war 1974 . Da dauerte es gerade einmal fünf Minuten und sieben Sekunden. Und jetzt …«
    » 1974 wurden wir Fußballweltmeister.«
    »Schon neunzehn Minuten … Das wird nix.«
    »Gerd Müller schoss das 2  :  1 gegen die Holländer …«
    »Ich weiß«, sagte Eschenbach. »Liegend!«
    »Das waren noch Typen.«
    »Zwanzig Minuten.«
    »Das wird aber ein ganz schlechter Sommer. Und dann haben Sie noch die EURO 08 .«
    »Eben – und Spieler, die nicht einmal stehend treffen.«
    Der Wind drehte und blies den Rauch direkt auf die Tribüne zu.

2
    L ara Bischoff saß in ihrem Büro an der Finsbury Avenue in London. Vor ihr auf dem Tisch lag der Vertrag. Es blieben noch fünf Minuten bis zur Verhandlung. Danach wollte sie nach Zürich fliegen und ihre Schwester treffen. Charlotte hatte versucht sie zu überreden, früher zu kommen – »Dann gehen wir zum Sechseläuten und essen dort gemütlich eine Bratwurst«, hatte Charlotte gemeint –, aber »gemütliche Bratwurst« war nicht ihr Ding. Sie hatte es ihr, so freundlich wie eben möglich, zu erklären versucht. Es waren Welten, die sie trennten. Wenigstens arbeitete Charlotte bei der FIFA , als Sekretärin zwar nur, doch es gefiel ihr. Und der Vorstand war mit ihr mehr als zufrieden. Auch wenn Charlottes Leben bei weitem nicht so glamourös und spektakulär war wie ihr eigenes, Lara mochte ihre Schwester. Man konnte auch in einer Mietwohnung glücklich leben. In Wädenswil. Es musste nicht London Mayfair sein. Überhaupt schien ihre Schwester auffällig gelöst, als sie miteinander gesprochen hatten. »Es ist gar kein Problem, wenn du später kommst«, hatte sie gesagt. Die üblichen Sticheleien zweier so unterschiedlicher Schwestern waren gänzlich ausgeblieben.
    In Gedanken ging Lara noch einmal die wichtigsten Punkte des Vertrags durch. Es war nichts Ungewöhnliches, nichts Spektakuläres darin. Genau genommen stand in diesen Verträgen immer dasselbe: Wer bezahlte wem wie viel und für was – that’s it! Lara lächelte, als sie an ihre angelsächsischen Kollegen mit ihren Law Firms dachte, die es fertigbrachten, aus ein paar Verhandlungspunkten ein Vertragswerk zu zimmern, das hundertdreiundsiebzig Seiten maß. Die jede denkbare Eventualität einbezogen, um sie dann wortreich wieder auszuschließen. Viel Lärm um nichts – Shakespeare hatte es bereits gewusst.
    »Die Herren sind da«, rief Abigail aus dem Vorzimmer. »Sie sind im Konferenzraum Edward .«
    Die drei Besprechungsräume für repräsentative Zwecke befanden sich bei Goldmann Investments Ltd. in der obersten, einundzwanzigsten Etage. Sie trugen die Namen der englischen Monarchen aus dem Hause Windsor: George, Edward und Elizabeth (wobei nicht klar war, ob es sich bei George um den fünften oder sechsten handelte). Entsprechend königlich war der Blick auf die City von London.
    Das Gebäude war ein Lichtbau moderner Architektur. Sir James Stirling hatte ihn entworfen, und als er fertiggestellt war, bemerkte Harry Goldmann, ein Urenkel des Gründers, dass man darin statt Männern in Nadelstreifenanzügen wohl besser Kunstgegenstände ausstellen solle.
    Den ursprünglichen Backsteinbau aus dem achtzehnten Jahrhundert hatte man zur Schlachtbank geführt, als Tribut ans neue Millennium. Die Moderne hatte gesiegt; und mit ihr die Techniker und IT -Spezialisten, die endlich Mittel und Wege fanden, ihre armdicken Kabelstränge ohne Probleme zu verlegen.
    Die älteren Partner der Firma hatten den Untergang der alten Werte befürchtet, die jüngeren sich tunlichst darüber ausgeschwiegen. Als Kompromiss hatte man die sieben Kellergeschosse erhalten. Die Archivschränke dort hatten schon den Bombenangriffen des Ersten und Zweiten Weltkriegs getrotzt. Eine halbe Million Laufmeter Akten beherbergten sie, so hieß es, die Historie der Firma. Und diese war aufs engste verbunden mit der Geschichte ihrer Kunden. Seit 1713 vertraute die Elite der kapitalistischen Welt darauf, wie man hier Geschäfte abwickelte, und mehr noch, dass man darüber schwieg.
    In der obersten Etage residierten auch die elf Partner, internwurde sie als »Heaven« bezeichnet. In den restlichen Stockwerken, zwischen Himmel und aktengefülltem Erdreich, erledigten vierhundert Angestellte das Tagesgeschäft. Anwälte, Broker,
IT-Spezialisten, Investment Professionals. Die besten, die der Markt hergab: und natürlich auch die teuersten. Billige Arbeitskräfte konnte sich
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