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Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Autoren: Ju Honisch
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Kapitel 1

    E s war ein Fehler gewesen , das Dampfschiff donauaufwärts zu nehmen. Es war zu langsam. Sein Schnaufen belegte deutlich die Kraftanstrengung, mit der es gegen den Strom ankämpfte. Das rhythmische Stampfen war zudem ermüdend, und das Rauschen des Wassers hatte fast etwas Bedrohliches.
    Konstanze starrte ärgerlich in den prasselnden Regen. Per Zug wären sie schneller vorangekommen. Wenn man sie tatsächlich verfolgte, konnten eben diese Verfolger per Eisenbahn bereits in jedem Hafen von Linz bis Passau auf sie und das Kind warten.
    Sie musterte das Mädchen neben sich. Clarissa Thernow war fünfzehn, wirkte aber jünger, war schmal und noch sehr kindlich. Ihr schwarzes Haar war zu zwei festen Zöpfen geflochten, ihre grünen Augen waren groß und eingerahmt von dichten, schwarzen Wimpern. Sie blickten voll Unschuld in die Welt. Ihr Benehmen ließ sie auch nicht erwachsener erscheinen. Wenn Clarissa nicht gerade vor sich hin starrte, hatte sie ihre eigene Art, die Welt wahrzunehmen. Schwachsinnig hatte ihr Onkel sie genannt.
    Es war so einfach – und so praktisch. Man musste Clarissa nur in eine Anstalt stecken, und schon war der Weg frei zu einer erheblichen Erbschaft, denn Clarissas Eltern waren tot.
    Konstanze Vanholst war die vergangenen drei Jahre Clarissas Gouvernante gewesen. Sie wusste, Clarissa war begabt und intelligent – nur eben nicht immer. Gelegentlich schien sie verloren und weltfremd, nahm kaum wahr, was um sie herum geschah. Kein Arzt hatte ein Heilmittel dafür gefunden. Clarissa schien sich ab und zu in ein Traumland zurückzuziehen, und es gab keine Mittel, sie von dort wieder in die Realität zu zwingen.
    „Geht es dir gut, Clarissa?“
    Das Mädchen schwieg.
    Wer hätte vier Jahre zuvor schon geglaubt, dass Konstanze ihr Leben als Erzieherin würde fristen müssen? Vier Jahre konnten alles vernichten, was man für selbstverständlich erachtete. Eine lange Zeit, um sich daran zu gewöhnen, dass man nicht mehr die behütete, reiche Tochter war, sondern die peinliche Hinterlassenschaft einer gescheiterten Existenz.
    Konstanze verdrängte diese Gedanken. Sie fochten sie nur noch selten an. Sie mochte ihre Arbeit und verspürte einen starken Beschützerinstinkt für Clarissa. Auch fand sie es nicht ehrenrührig, auf ehrliche Weise seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Im Gegenteil, es hatte Würde. Vielleicht war sie so unabhängiger, als wenn sie einen reichen Kaufmann geheiratet hätte. Doch einen Vater zu haben, der als Bankrotteur Selbstmord beging, machte einen als Gattin nicht begehrenswert.
    All das war nun vorbei. Sie war jetzt Gouvernante – und Entführerin und Diebin.
    Sie sah sich um. Was, wenn ihre Verfolger bereits mit ihr auf dem Boot waren? Es war nicht auszuschließen, da sie nicht wusste, wie sie aussahen. Das Zweite-Klasse-Abteil war nur spärlich besetzt. Auf der einen Seite führte eine Tür auf Deck. Hinter der Tür auf der anderen Seite war die Erste Klasse.
    Sie hatte absichtlich keine Erster-Klasse-Fahrkarte gekauft, da sie fand, sie habe kein Recht, das gestohlene Geld für ihren Komfort auszugeben.
    So teilte sie nun das Abteil mit Menschen, die harmlos sein mochten – oder auch nicht. Sie konnten Gendarmen sein, die ihr Handschellen anlegen und sie in den Kerker werfen mochten. Oder sie gehörten zu jenen Spezialisten, die Clarissas Onkel kontaktiert hatte, als die Behörden in Linz nicht sofort zu Herrn Thernows Gunsten interveniert hatten.
    Sie mochte nicht glauben, dass der ältere Bauer in Lederhosen und grauer Wolljoppe dazugehörte, auch wenn er sie manchmal allzu prüfend ansah. Der Mann hatte seinen zerbeulten Hut nach hinten geschoben, und die Falten seines verwitterten Gesichtes gaben ihm etwas Gnomenhaftes.
    Nein, sie glaubte nicht, dass er einer jener Männer war. Doch wissen konnte man es nicht.
    Nicht weit entfernt von dem Bauern saß ein Mann im karierten Anzug. Er war unangemessen übermodisch und wirkte marktschreierisch. Selbst sein brauner Zylinder schien entschieden zu hoch. Sie hatte ihn noch nicht reden gehört, war aber sicher, dass er keinen weichen lokalen Dialekt sprach. Er sah zu preußisch aus. Überheblich wirkte er. Konstanze empfand tiefen Widerwillen gegen ihn.
    „Fahren Sie nach Bayern, Fräulein?“, fragte er zwinkernd. Offenbar hatte er ihren Blick als Interesse verstanden. Sie schwieg. Es war ungehörig, eine Dame einfach so anzusprechen. Schleimige, reisende Händler – und so wirkte er – waren sicher nicht auf
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