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Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Autoren: Ju Honisch
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der Liste achtbarer Herren, mit denen sie gerne eine Konversation geführt hätte.
    „Ihre Schwester?“, fuhr er fort. „Sie sehen einander gar nicht ähnlich.“
    Ähnlich waren Clarissa und sie einander wirklich nicht. Wo Clarissa dunkel war, war Konstanze hell und blond. Groß war sie, schlank, und sie wusste selbst, dass man ihr die Willensstärke gelegentlich im Gesicht ansah. Als sie noch reich gewesen war, hatten die Männer ihr versichert, dass sie sehr hübsch war. Sie hatte keinen Grund gehabt, an den Komplimenten zu zweifeln. Als Hauslehrerin hatte man freilich darauf zu achten, nicht allzu hübsch zu sein. Es erleichterte das Leben.
    Der Mann rutschte näher, bis er ihr gegenübersaß.
    Seine Impertinenz war atemberaubend. Sie hatte nichts getan, um ihn zu ermutigen. Normalerweise wäre sie aufgestanden und hätte den Raum verlassen, aber das Wetter an Deck war alles andere als freundlich, und Clarissa weilte vermutlich in ihren Traumgefilden. Sie in diesem Zustand irgendwohin zu bewegen war ziemlich schwierig und würde allzu viel Aufmerksamkeit auf die Verhaltensmerkwürdigkeiten des Mädchens ziehen. Konstanze wollte das unbedingt vermeiden.
    „So ein liebes Mädchen“, sagte der Mann nun und streckte die Hand nach Clarissa aus. Konstanze fing sein Handgelenk mit ihrer behandschuhten Hand und stieß es fort.
    „Mein Herr! Wahren Sie Abstand.“
    Ärger schoss über das Gesicht des Mannes, dann grinste er.
    „Oh! Eine Löwenmutter! Nur die Ruhe! Ich werde doch dem Mädel nichts tun. Gleich zwei so hübsche Dämchen – und reisen ganz alleine. Wo geht’s denn hin?“
    Wieder zwinkerte er, als hätte er ihr ein Kompliment gemacht. Konstanze war bestürzt und blickte sich um, ob etwa andere Reisende dem Gespräch lauschten. Der Mann in Lederhosen grinste.
    „Lassen Sie uns in Ruhe. Wir haben nicht um Ihre Unterhaltung gebeten.“
    Seine Lippen zuckten.
    „Ach, so überheblich ? Wer sind Sie denn? Die Gräfin Koks von der Gasanstalt? Wohl kaum. Sie sind eine mies bezahlte Kinderhüterin. Da gibt es bessere Arten zu leben. Leichtere.“
    Wieder streckte er die Hand nach ihnen aus, und sie rutschte zurück, umklammerte ihren Schirm, bereit, dem Mann damit eins zu verpassen.
    Es erwies sich als unnötig. Eine größere Hand packte den Arm des Mannes, zog ihn vom Sitz und stieß ihn zur Tür.
    „Ich denke, Sie brauchen etwas frische Luft zum Abkühlen“, sagte eine barsche Stimme.
    Ein Schwall von Worten, die Konstanze nicht einmal kennen wollte, war die Antwort. Ihre Wangen brannten, und sie versuchte, artig von der Szene fortzublicken. Es gelang ihr nicht. Es gab Aspekte von „artig“, die sie nie vollends gemeistert hatte.
    Als Hauslehrerin hatte sie streng und stets Herrin der Lage zu sein. Artig war da schwierig. Den Posten hatte ihr der Damenzirkel ihrer Cousine vermittelt. „Da werden Sie gebraucht“, hatte es geheißen. So war sie nach Linz gegangen, um ein junges Mädchen in allen Fächern zu unterrichten, die junge Mädchen gemeinhin lernten, um zu heiratsfähigen Damen heranzureifen.
    Nun war sie mit dem Mädchen auf der Flucht.
    Der Herr, der sich eingemischt hatte, war kleiner als der hochgeschossene Preuße, doch er bot einen Anblick fokussierter Willenskraft. Schwarzes Haar mit ebensolchem Backenbart rahmte sein Gesicht ein. Stahlblaue Augen blickten entschlossen. Konstanze stellte fest, dass seine hellen Augen dichte, schwarze Wimpern umgaben und schalt sich darob. Ihn so anzustarren!
    Die Tür schlug hinter den beiden zu, und der Schwall von Unverschämtheiten des widerlichen Mitreisenden war nur noch gedämpft hörbar. Der andere Mann sagte nur noch einen Satz: „Sie bleiben draußen, oder Sie schwimmen.“
    Er kam allein zurück ins Abteil, also hatte der Preuße ihm wohl geglaubt. Konstanze erhob sich, um ihm zu danken, und fühlte sich plötzlich sehr unzulänglich in ihrer einfachen graubraunen Kleidung – der Kleidung einer mies bezahlten Kinderhüterin. Es gab tatsächlich bessere Arten zu leben. Leichtere. Doch sie beklagte sich nicht.
    Sie trat einen Schritt vor und stellte sich ganz nebenbei vor Clarissa.
    „Mein Herr, ich stehe in Ihrer Schuld.“
    Seine blaugrauen Augen leuchteten fast. Dann nickte er.
    Er ging wortlos an ihr vorbei, öffnete die Tür zum Erster-Klasse-Abteil. Erst dann wandte er sich noch einmal um, als wollte er noch etwas sagen. Das tat er dann doch nicht, starrte nur Clarissa an. Einen Augenblick später war diese aufgesprungen und vergrub
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