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Schwindel

Titel: Schwindel
Autoren: Kristina Dunker
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denken: Das
     war’s.
    Und wenn ich doch fliehe?
    Aus Albträumen kann man erwachen. Es gibt einen Punkt, an dem man ahnt, dass man davonkommen könnte, wenn man es nur schafft
     zu erwachen. Hier: Keine Chance.
    0.31.
    Fünf Dinge: das Gummi des Lenkrads unter meiner hupenden Hand; der Löwensticker an meiner Jeansjacke, den mir meine Mutter
     geschenkt hat, weil ich astrologisch Löwe bin und Mut entwickeln soll; die gleichförmige Stimme des Nachrichtensprechers aus
     dem Radio; der letzte Hauch des Parfums von Julian; der Geschmack im Mund, der mir nach und nach weder eisen- noch salzhaltig
     vorkommt und langsam wieder unaufgeregt neutral wird.
    0.37
.
    Den Nervenkrieg verlierst du, Mirko! Alle guten Dinge sind drei: meine Hände, zart, aber bereit, mich bis aufs Letzte zu verteidigen;
     meine Ohren, mittlerweile getrimmt darauf, jeden noch so kleinen Ton nebendem Hupgeräusch wahrzunehmen; mein Wille, immer noch da und stärker von Minute zu Minute.
    0.41.
    Was für ein Wunder, dass ausgerechnet ich diese Situation so lange aushalte! Wie kann das sein? Ich sitze hier und mein Kopf
     ist klar. Ich bin in größter Gefahr, aber mir ist nicht schwindelig. Hallo, Mirko, ich sterbe nicht von selbst hier drinnen,
     ich lebe einfach immer weiter und kriege langsam sogar Wut.
    Um 0.43   Uhr bin ich so wütend, dass ich, kontinuierlich hupend, auf den Fahrersitz rutsche, das Fenster ein winziges Stück nach unten
     lasse und herausrufe: »Wo steckst du, du Feigling? Wenn du herkommst, fahr ich das Auto deines Vaters zu Schrott! Vielleicht
     tu ich dir einen Gefallen, Schleicher, und fahr dich vorher noch über den Haufen. Entkommen tust du nie und nimmer, die kriegen
     dich sowieso! Es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis die Polizei hier ist.«
    Ich will das Fenster sofort wieder schließen, zögere aber.
    Da ist ein jämmerliches Geräusch. Mirko ist noch da, hier auf dieser Seite, ganz nah. Er sitzt neben dem Jeep auf der Erde
     und flennt.
    In diesem Moment wachse ich über mich hinaus. Geradezu tollkühn höre ich mich sagen: »Mirko? Was ist los? Gibst du auf?«
    Er fährt hoch wie von der Tarantel gestochen, seine Finger krallen sich in den Spalt des offenen Fensters. »Ich habe das nicht
     gewollt, Eva, ich hab die nicht da runtergeschubst, die ist ausgetickt und von selbst gefallen, das war ein Unfall. Ich konnte
     nichts dafür. Ichhab nichts Böses im Sinn gehabt; ich bin ihnen nur in den Wald gefolgt, weil ich wissen wollte, was sie reden.«
    Ich will das Fenster schließen, ihm die Finger einklemmen, sie zerquetschen, ihn leiden sehen, aber ich bringe es nicht fertig.
     Sein Anblick ist so erbärmlich. Er zittert und bibbert, jetzt, da er einmal ehrlich in dem ist, was er sagt. Seine Sätze gehen
     in Gestammel über.
    »Er hat sie allein gelassen und ich wollte auch schnell weg, hinter ihm her, mit ihm reden. Aber dann hat sie mich gesehen
     und   …« Ein herzzerreißendes Aufheulen: »Ich wollte das nicht!«
    Wer könnte so etwas wirklich wollen?
    Ich lasse die Begegnungen mit ihm Revue passieren: Mirko, heute Mittag auf der Terrasse: sympathisch, schüchtern, traurig.
     Mirko, vor mir auf der Erde liegend, am ersten Abend im Wald. Ist nicht die erste Empfindung, die man für einen fremden Menschen
     hat, immer die richtige? Mitleid.
    Aber ich sehe auch Alina oder besser gesagt das, was ich von ihr in Erinnerung behalten habe. Die blassen Finger mit dem roten
     Ring, die mir zu winken scheinen.
    »Ich schwöre, ich wollte das nicht!«
    Ich sitze da und Tränen drängen sich in meine Augen wie Mirkos Finger in das Innere des Wagens, wie seine Worte in mein Ohr,
     sein Betteln und Bitten in mein Herz, und während mich meine Kraft verlässt, sagt irgendeine Stimme in mir, dass Mirko diesmal
     sicherlich nicht lügt, dass er’s wirklich nicht wollte, dass es doch auch nicht sein kann, dass dieser Junge wirklich so fies
     ist, wie alle behaupten, und diese Stimme, die sich schlangenhaftwindende, schleichend-schwächende Stimme sorgt dafür, dass meine Finger wieder den Türgriff umfassen.
    Doch da, kurz bevor ich Gefahr laufe, ihr nachzugeben, habe ich plötzlich auch das Bild Mohrles im Kopf. Eine Katze hat keine
     Vorurteile, sie handelt nach Instinkt.
    Auf mich achtgeben.
    Leise, aber doch deutlich zu verstehen sage ich: »Nimm die Finger vom Fenster weg, Mirko, ich mache es jetzt zu.«
    In dem Moment ertönt ein Motorengeräusch und wir sind nicht mehr allein auf dem Parkplatz an der
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