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Schwindel

Titel: Schwindel
Autoren: Kristina Dunker
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hören zu müssen, studierte das noch eingeschaltete
     kleine Gerät. Julian hatte ein ähnliches Modell, so war es leicht, die Funktion zu finden, mit der man die gespeicherten Fotos
     ansehen konnte.
    »Du hast kein Recht dazu! Das gehört zur Privatsphäre.« Mirko brüllte sich draußen heiser. Je wilder er wurde, desto mehr
     verstand ich, welche Bedeutung das Handy hatte. Nun konnte er mich auch mit Rütteln und Klopfen nicht davon abbringen, mir
     die Fotos anzusehen. Meine Privatsphäre hatte er schließlich auch nicht respektiert.
    Das erste, also offenbar zuletzt aufgenommene Bild zeigte mich selbst, wie ich mich in der Disco totenbleich an den Stehtisch
     klammerte, als gerade der Brief verlesen wurde.
    Da hatte Mirko mich schon im Blick gehabt?!
    »Was soll das?« Ich drehte die Lautstärke des Radios herunter, hielt das Handy gegen die Scheibe, sodass er das Bild sehen
     konnte.
    »Ich wollte nur   … Du bist doch so wie ich! Das weißich aus deinem Tagebuch. Was du geschrieben hast, hätte auch von mir sein können. Als ich las, dass du alles aufschreibst,
     um zu überleben, da hab ich gedacht, dass ich das doch auch so mache, nur: Du schreibst und ich mache Fotos! Wir müssen uns
     doch wehren, Eva!«
    »Du bist echt das Letzte, du bist krank! Du und ich, wir haben gar nichts gemeinsam«, schimpfte ich, so zornig, so wild, dass
     er innehielt und sich kraftlos gegen den Wagen sinken ließ. »Ich habe dich immer vor den anderen in Schutz genommen, Mirko,
     aber jetzt weiß ich, dass sie recht hatten! Du bist ein gemeiner, hinterhältiger   …«
Schleicher
, wollte ich sagen, bremste mich aber.
    Er fing an zu weinen. »Doch nur, weil die mich nie wollten, weil sie mich schon von Anfang an ausgeschlossen haben. Nur weil
     die mich so gemacht haben, nur deshalb! Ich verteidige mich doch nur. Du müsstest das am besten verstehen. Was war denn mit
     dem Mädchen auf deiner Klassenfahrt? Du hast ihr doch die Kleider zerschnitten, oder etwa nicht?«
    »Nein, habe ich nicht!«
    »Vor mir brauchst du nicht zu lügen. Mir kannst du sagen, was du nicht mal in dein Tagebuch schreiben würdest! Mensch, Eva,
     ich würde das verstehen! Jeder von uns hat ein schlimmstes Geheimnis!«
    Oh Gott, wovon redete er?
    »Ich dachte, du verstehst mich, du würdest zu mir halten! Aber was machst du? Schließt mich aus, wie alle anderen!«
    Wie lange würde ich ihn aus dem Jeep aussperren können? Ich musste das Gespräch mit ihm in Ganghalten, damit er nicht auf den Gedanken kam, die Scheiben einzuschlagen.
    »Ich gucke mir jetzt die anderen Bilder an und dann entscheide ich, ob ich dich reinlasse oder nicht.«
    Mirkos Tränen hinterließen Schlieren an der Scheibe. Die Fingernägel kratzten dumpf am Glas. Er öffnete den Mund, sagte aber
     nichts und schielte, einem Fisch im Aquarium gleich, durchs Fenster auf das Handydisplay.
    Zunächst erschienen ein paar Aufnahmen von seinem Vater. Bernd sah schlecht aus, richtig graugesichtig, traurig und krank.
    Ich warf Mirko einen fragenden Blick zu.
    »Seine eigene Schuld!«, jaulte er und drückte seine triefende Nase an das Glas. »Hätte er sich nicht mit ihr eingelassen!«
    »Mit Alina?« Es war mehr eine rhetorische Frage und Mirko, der mir nun als fischiger, bleichgesichtiger Jammerlappen erschien,
     beantwortete sie auch nicht.
    Ein Mädchengesicht auf dem nächsten Foto: Nicht Alina, sondern Esra, verheult das Mädchenklo verlassend. Lichtete dieser Schleicher
     – jetzt nannte ich ihn zum ersten Mal auch so – eigentlich mit Vorliebe unglückliche Menschen ab?
    »Esra ist ’ne bescheuerte Besserwisserin, und erst ihr Bruder, der Hakan   …«
    »Was war mit Alina?«, unterbrach ich ihn.
    »Alina hat mich gehasst, die hat mich fertiggemacht, die war eine von den schlimmsten und gemeinsten Zicken, und das wusste
     mein Vater, aber trotzdem macht er mit ihr rum und faselt von Liebe. Wie’s mir dabei geht, ist ihm scheißegal!«
    Meine Knie begannen zu zittern. Nicht so stark, dass Mirko es sehen konnte, aber doch derart, dass ich wusste, ich würde es
     womöglich wirklich nicht mehr lange im Auto aushalten. Es war zu beengend, zu käfigartig; es gab zu wenig Sauerstoff und zu
     viel Entsetzen in mir.
    Das folgende Bild war sehr dunkel, daher überschlug ich es zunächst, ebenso wie die zwei, die offenbar schlecht geblitzt waren.
     Doch dann sah ich genau hin: das Schulfest.
    Ich kannte das Bild, es war das, das Mirko mir selbst gezeigt hatte. Julian und Esra
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