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Schwindel

Titel: Schwindel
Autoren: Kristina Dunker
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erst kennengelernt.«
    Julian drehte sich um. »Aber was nicht ist, kann ja noch werden?!«
    »Hey, hört euch das an!« Die Mädchen waren begeistert. Ich nahm sie kaum wahr, sah Julian an. Die Spontaneität seiner Bemerkung
     musste ihn selbst überrascht haben, erschrocken versuchte er seine Verlegenheit zu überspielen und sagte: »War natürlich ’n
     Scherz.«
    »Schade.« Ich weiß nicht, ob ich das Wort überhaupt aussprach, ob ich es nicht nur lautlos mit den Lippen formte oder es sich
     allein im Kopf bildete wie eine Comicgedankenblase. Dass ich nämlich tatsächlich so etwas Mutiges geantwortet haben soll,
     kann ich mir kaum vorstellen. Die Botschaft aber kam bei Julian an, vielleicht durch meinen Blick oder durch Telepathie, denn
     als ich nach der Verkaufstheke griff, um mich festzuhalten, weil mir plötzlich schummerig war, erwischte ich seine Hand.
    »Hoppla!« Julian lachte, wunderschön rot werdend, während Vanessa, Verena und Vivian und wie sie alle hießen, ihre wahre Freude
     an uns hatten.
    »Äh, ich bin Eva«, sagte ich.
    »Adam!«
    »Blödmann!« Ich drückte seine Hand fester, und obwohl es mir extrem peinlich war, dass eins der Mädchen auf einmal rief: »Sie
     dürfen sich jetzt küssen!«, durchströmte mich eine augenblickliche Verliebtheit, sodass ich es wirklich am liebsten getan
     hätte.
    Wir warteten dann aber doch ein paar Tage, bis wir in einer Eisdiele scheu ausprobierten, ob auch unsere Lippen nach Stracciatella
     und Amarena schmeckten. Julian war schließlich mein erster Freund überhaupt, da war mir nicht danach, etwas zu überstürzen.
    Andererseits: Ich hatte mich in meiner alten Schule stets unwohl gefühlt, nie eine richtige Clique gehabt und mir schon lange
     einen Freund gewünscht. Warum dann also nicht eineinhalb Monate später zu zweit in den Urlaub fahren? Was so gut anfing, konnte
     einfach nur gut weitergehen!
    Es sah alles danach aus. Wir würden die nächsten vier Tage im Ferienhaus seiner Eltern verbringen, einer, wie er mir erzählt
     hatte, romantisch in einem Seitental der Mosel gelegenen ehemaligen Wassermühle. Bei diesem warmen Wetter würden wir vor dem
     Frühstück ein eiskaltes Bad im Bach nehmen, mit Julians Motorrad die kurvige Landstraße heruntersausen, im historischen Städtchen
     einkaufen, am Abend draußen grillen und später auf einem flauschigen Teppich vor einem spannenden Film oder einfach nur vor
     dem Kamin miteinander kuscheln und den Luxus genießen, noch die ganze Nacht vor uns zu haben. Niemand, der uns stören könnte:
     keine besorgte Mutter und kein neugieriger Vater – das Wochenende in der Rauschenmühle würde uns allein gehören und wir hatten
     vor, endlich zu tun, was wir die ganze Zeit schon wollten und immer aufgeschoben hatten.
    Ich hob eine der stacheligen Kastanien auf und schloss die Faust um sie. Ehrlich gesagt: Sosehr ich mich auf die vor mir liegende
     Reise freute – ein bisschen Bammel hatte ich auch.
    Da war in letzter Zeit manchmal so ein plötzliches Ziehen rund um den Bauchnabel, ein Gänsehautschauern am ganzen Körper,
     der kaum zu unterdrückende Wunsch loszuschreien, so als führe ich in einer Achterbahn und raste gerade vom Scheitelpunkt in
     die Tiefe. Meine Eltern merkten das natürlich, Sarah mailte ich es und auch der Fuchs wusste davon, nannte es eine angenehme
     Angst, eine ganz normale aufwühlende Glückseligkeit. Das war es auch. Vor den Hausaufgaben sitzen, auf einmal Julians Augenzwinkern
     sehen, kraftlos vom Stuhl rutschen und das Gefühl haben, wie ein Stück Butter in der Sonne zu zerfließen. Im Schulchor singen
     und beim Staccato daran denken, wie Julians Finger meinen Bauch kitzeln, und von da an bei jeder noch so kleinen Bewegung
     des Zwerchfells in Lachen ausbrechen müssen. Nachts aus einem orangerot gefärbten Traum aufwachen, Arme und Beine um die Bettdecke
     geschlungen, als wär sie der Eine.
    Das war die Zeit, in der ich zum ersten Mal in meinem Leben meine überzogene Empfindsamkeit akzeptierte. Bisher hatte ich
     sie immer als Nachteil empfunden, als Makel und Schande, etwas, das es zu überwinden galt. Jetzt fing ich beinahe an, mich
     zu mögen. Die Zeit vom ersten Treffen mit Julian bis zu meiner Abreise an diesem vierten Oktober war einfach großartig, alles
     schien auf einmal bestens zu laufen; meine Eltern machten sich kaum noch Sorgen um mich und auch der Fuchs war zufrieden,
     sagte, so wie’s aussähe, käme ich bald wieder ohne ihn zurecht, was mich freute
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