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Schwindel

Titel: Schwindel
Autoren: Kristina Dunker
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Portemonnaie.
    Davon hatte ich in letzter Zeit nie genug. Das musste an Julian liegen, der, was Taschengeld anging, unverschämt gut ausgestattet
     war.
    Mein Vater steckte mir noch zwei Scheine zu, drückte mich.
    »Also, viel Spaß.«
    Ich winkte ihm nach und betrat mit klopfendem Herzen den Bahnhof. Zum einen war ich nervös, beeilte mich mehr als nötig, spürte,
     wie sich das Papier der Fahrkarten zwischen meinen schwitzenden Fingern wellte, und griff zweimal an meine Jeanstasche, um
     zu kontrollieren, ob mein Portemonnaie noch da war. Zum anderen war ich beinahe euphorisch: Meine Augen, die ich in einer
     verspiegelten Scheibe sehen konnte, leuchteten wie polierte Halbedelsteine, meine Wangen glänzten wie die gewachsten Äpfel,
     die ich als Proviant eingesteckt hatte, und als mir eine Frau mit ihrem Rollkoffer versehentlich über den Fuß fuhr, lächelte
     ich nur nachsichtig über ihre Entschuldigung. Was war schon ein kurzer Schmerz im Fuß? Ich fuhr zu Julian. Das war zum In-die-Luft-Springen!
    Vor ein paar Monaten hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass ich bald mit meinem festen Freund Urlaub machen würde. Ich
     bildete mir ein, keiner könne mich leiden, die Mitschüler nicht, die mich ausschlossen, die vollpubertierenden Nachbarstöchter
     nicht, die immerloskicherten, wenn ich an ihnen vorbei durch den Hausflur ging, der Volleyballtrainer nicht, der mich »wegen gewisser Probleme«
     in die B-Mannschaft zurücksetzte, meine Eltern nicht, die sich eine unkompliziertere, geschicktere Tochter wünschten, und sogar der Fuchs nicht,
     der ja immerhin dafür bezahlt wurde, dass er sich einmal die Woche ein Stündchen mit mir befasste.
    Aber das war jetzt alles vorbei! Ich hatte seit dem Umzug und dem ersten Schultag nicht nur Julian an meiner Seite, sondern
     einen ganzen Haufen Freunde, hatte mich im Schulchor angemeldet und dafür Volleyballverein und alte Bekanntschaften getrost
     in den Wind geschossen, und auch den Fuchs – der mich wahrscheinlich doch ein bisschen mochte, wie ich nach und nach merkte
     – würde ich bald los sein.
    Jetzt fing nämlich das schöne Leben an! Der einfahrende ICE erschien mir wie ein verheißungsvoller weißer Pfeil, eine Direktverbindung
     zur berühmten Wolke sieben. Als er leise quietschend zum Stehen kam und ein anderer Zug auf dem Nebengleis in die entgegengesetzte
     Richtung anfuhr, schwankte sanft der Boden unter meinen Füßen. Wie hatte der Fuchs dieses Gefühl genannt? Ganz normale, aufwühlende
     Glückseligkeit.
    Nun war ich endlich unterwegs!
     
    Es dauerte auch nicht lange, da rief Julian an. »Wo bist du gerade?«
    »Im Zug, ich sitze auf dem Fußboden.«
    »Wieso das denn?«
    »Hab keinen Platz mehr gekriegt, ist aber okay.« Ichmerkte, wie der Bundeswehrsoldat, der mir im überfüllten Gang schräg gegenübersaß, die Ohren spitzte. Vorhin hatte er mich
     schon zweimal angelächelt und auf einen Heißluftballon, den man im Fenster sehen konnte, hingewiesen. Jetzt legte er den Kopf
     schief, stützte ihn in die Hand und sah mich direkt an. Das irritierte mich so, dass ich nicht mitbekam, was Julian als Nächstes
     sagte.
    »Ich kann dich schlecht verstehen«, behauptete ich.
    »Ich freue mich auf dich!« Julian schrie fast.
    Ich mich auch, wollte ich sagen, doch ich fühlte mich so angestarrt von meinem Mitfahrer, der sicher ebenso gern wie Julian
     diese Worte von mir gehört hätte, dass ich keinen Ton herausbrachte.
    »Eva?«, fragte Julian. »Hallo?«
    »Die Verbindung ist so schlecht.«
    Der Soldat –
Berger
stand auf seiner Uniform – schmunzelte, als habe er meine Gedanken gelesen. Seine Art erinnerte mich an den Fuchs, und das
     machte mich nervös.
    »Wo bist du denn jetzt? Seid ihr pünktlich?«
    »Denke schon. Der Zug ist ja pünktlich gekommen.«
    »Ich melde mich trotzdem noch mal. Also, bis dann!«
    »Ja, tschüss.« Ich schaltete das Handy aus.
    Mein Gegenüber schien dem Gespräch zugehört zu haben. Er zeigte auf die elektronische Informationstafel über meinem Kopf.
     »Pünktlich sind wir nicht. Planmäßig müssten wir schon in Düsseldorf sein.«
    »Die paar Minuten   …!« Ich hatte keine Lust, mit ihm zu reden, zog mein kleines grünes Tagebuch aus dem Seitenfach meines Rucksacks hervor und
     begann demonstrativund mit gesenktem Kopf darin herumzublättern. Ich merkte, wie Berger mich noch einen Moment ansah, dann enttäuscht seufzte
     und sich seinen Kameraden zuwandte.
    Das hätte der Fuchs nicht getan. Der Fuchs
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