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Schwindel

Titel: Schwindel
Autoren: Kristina Dunker
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gelangweilt.
    Erleichtert fiel ich auf einen Sitz in ihrer Nähe, ließ zum x-ten Mal meinen schweren Rucksack von den Schultern auf den Boden
     gleiten, gähnte, spürte, dass ich vom Kakao aufstoßen musste, und dachte: Wenn dir jetzt auch noch schlecht wird und du dich
     übergeben musst, dann ist’s ganz aus, dann kannst du gleich wieder zurückfahren – wenn die Deutsche Bahn es denn zulässt!
    Als hätten ihr bei dem »Zurückfahren« irgendwie die Ohren geklingelt, rief meine Mutter an.
    »Bist du gut angekommen? Alles in Ordnung?«
    »Nicht ganz, aber in knapp zwanzig Minuten müsste ich’s geschafft haben.«
    »Wieso bist du denn immer noch unterwegs?« Meine Mutter war sofort alarmiert.
    »Triebwerkschaden, hohe Gleisauslastung, Signalstörung   … frag mich nicht, von allem etwas.«
    »Aber dir geht’s gut?«
    »Ja, Mama.«
    »Bist du sicher?«
    »Natürlich!«, fauchte ich. Sorry, aber ich hasse diese ewige Fragerei: Geht’s dir gut? Alles in Ordnung? Du bist so still,
     du grübelst doch nicht etwa?
    Mussten sie mich denn immer darauf hinweisen, dass es mir besser gehen sollte und dass es Leute gab, Leute wie sie oder meine
     Mitschüler, die leichter mit dem Leben fertig wurden als ich?
    »Es ist doch nur normal, wenn wir uns Sorgen machen«, antwortete meine Mutter leicht beleidigt.
    »Jaa«, machte ich gedehnt und bemerkte dabei, dass der Handyakku auch langsam am Ende seiner Geduld und Leistungsfähigkeit
     angekommen war. Kein Wunder, ich hatte vergessen, ihn vor der Abfahrt aufzuladen, und nach dem ganzen Hin und Her war er so
     gut wie leer.
    »Mama, ich muss jetzt Schluss machen, ich ruf dich an, wenn ich in der Mühle bin, ja?«
    »Pass auf dich auf.«
    Bei diesem Satz, ob ich will oder nicht, werde ich immer unsicher.
    Ich legte mein Gesicht an die Scheibe und sah meine großen Augen. Sah ich ängstlich aus? »Auf mich wirkst du sehr ängstlich
     und verunsichert«, hatte der Fuchs bei unserer ersten Begegnung gesagt.
    »Munkelbach.« Das gepiercte Mädchen stand auf.
    »Danke.«
    In diesem Moment meldete sich Julian noch einmal.
    »Mein Akku ist gleich leer«, sagte ich schnell, »ich kann nicht lange reden, bin aber gleich da.«
    »Okay, na endlich! Ich kann mich aber wirklich darauf verlassen, dass du mit dem Taxi fährst, Evchen, ja?«
    »Was sonst?«
    »Bei dir weiß man nie«, entgegnete Julian, »du bist immer für Überraschungen gut.«
    Ich stutzte. War ich das? Sollte ich das als Kompliment nehmen?
    »Hoffentlich sind’s gute Überraschungen«, wollte ich noch sagen, tat es auch, war aber nicht mehr sicher, obmeine Worte Julian noch erreichten. Der Akku war jetzt definitiv leer, die Verbindung abgeschnitten.
    Im Dunkeln in einem fremden Ort anzukommen und nicht abgeholt zu werden ist ganz schön deprimierend. Ich sah, wie das Piercing-Mädchen
     ihrem großflächig tätowierten Freund in die Arme flog, ihren Bullterrier knuddelte und sie dann in trauter Dreisamkeit abzogen.
     Ich sah die wenigen Leute, die mit mir ausgestiegen waren, an mir vorbeiströmen. Im Nu war ich allein auf dem Bahnsteig, die
     Bahn fuhr wieder an und ich wusste nicht einmal, in welcher Richtung der Taxistand war.
    In diesem Moment überfiel mich ein starkes Gefühl des Verlorenseins, und obwohl es zu diesem Zeitpunkt wirklich keinen Grund
     gab, irgendwie besorgt oder unglücklich zu sein, hätte ich am liebsten geheult. Vielleicht hatte ich wider besseres Wissen
     gehofft, Julian würde trotz Humpelbein treu und tapfer auf dem Bahnsteig erscheinen, in einer Hand die Krücken, in der anderen
     den von mir erträumten Strauß Rosen.
    Pfeif drauf, das war sowieso eine kitschige Vorstellung, sagte ich mir streng und ging los. In der Unterführung wandte ich
     mich nach links, dem Neonlicht zu. Die winzige Bahnhofshalle war schäbig und verraucht, der Fahrkartenschalter wohl seit Langem
     aufgegeben und die einzige Brötchenbude ließ gerade ratternd ihre Rollläden herunter. Außer mir standen nur zwei Frauen mittleren
     Alters in den offenen Glastüren und warteten anscheinend darauf, abgeholt zu werden. Ich trat zu ihnen, sah mich um. Der viereckige
     Platz wurde von gesichtslosen Gebäuden gesäumt: Sparkasse, Ärztehaus, Drogeriemarkt, alles sah gleich und geschlossen aus.
     Nur aneinem Schnellimbiss gab es Leben, dort standen die Gepiercten und fütterten ihr süßes Hündchen mit einer Bratwurst. Ob sie
     ihm Senf dazu gaben, damit er schärfer und bissiger wurde? Ich seufzte. Julian hätte solch
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