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Schwindel

Titel: Schwindel
Autoren: Kristina Dunker
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ein Gedankenspiel lustig gefunden.
     Doch Julian war nicht da und Taxen waren weit und breit auch keine zu sehen. Vielleicht waren sie gerade alle unterwegs, vielleicht
     war ich nicht schnell genug gewesen und die wenigen anderen Fahrgäste der Regionalbahn hatten sie mir weggeschnappt. Unschlüssig
     sprach ich die Frauen an.
    »Da stehen normalerweise schon ein paar Taxen«, sagte die eine.
    »Um die Zeit noch, Heidi?«, fragte die andere.
    »Die sind bestimmt gerade eben weggefahren. Warten Sie einfach einen Moment.«
    Ich schob die Hände in die Taschen. So sonnig und warm der Tag gewesen war – jetzt, am Abend, merkte man, dass es Herbst war.
    Die beiden Frauen setzten ihr Gespräch fort, ohne mich weiter zu beachten. »Ach, das kriegt die Irene doch gar nicht mit,
     wenn das Mädchen mal nicht nach Hause kommt«, sagte die eine in für mich ungewohntem rheinischem Tonfall zu ihrer Freundin.
     »Die Alina hat auf dem ausgebauten Dachboden ihr eigenes Reich, das ist wie eine richtige Wohnung, die kommt nur runter, um
     ihre dreckige Wäsche abzuliefern und sich was zu essen aus der Küche zu holen.«
    »Du, das hat ja auch seine Vorteile, ich sag dir, wenn wir genug Platz hätten, würde ich unseren Dustin auch auf den Dachboden
     oder in den Keller verbannen, damit ich seine schreckliche Musik nicht immer ertragen muss.«Die erste lachte auf. »Ja, stimmt schon, aber jetzt sieht man eben, was darin auch für eine Gefahr liegt. Wenn das Mädchen
     nun seit Dienstagnacht nicht zu Hause war? Wenn ihr was passiert ist?«
    »Das wollen wir ja alle nicht hoffen«, antwortete die zweite Frau und setzte sich in Bewegung. »Da kommt der Reiner.«
    Ein Auto fuhr auf den Platz, und während die Frauen darauf zugingen, hörte ich die erste noch sagen: »Ja, aber ich kann Irenes
     Angst schon verstehen. An ihrer Stelle wäre ich jetzt auch zur Polizei gegangen.«
    Die Frauen stiegen ein, das Auto fuhr ab. Kein Taxi weit und breit. Die Minuten verstrichen, nichts tat sich. Ich fror. Sollte
     ich mir einen warmen Pulli aus dem Rucksack holen? Wie lange sollte ich überhaupt warten? Wenn gar kein Taxi mehr käme? Ich
     trippelte auf und ab, kämpfte gegen die in mir wachsende Unruhe an. Ach, wenn wenigstens mein Handy noch funktionierte! Dann
     könnte ich Julian vielleicht überreden, doch zu kommen. Natürlich konnte ich auch vom Schnellimbiss aus ein Taxi bestellen.
     Aber wie lange dauerte das wohl und wie teuer wäre das, ein Taxi extra anzufordern? Ich hatte auch nicht so viel Geld, und
     das wenige brauchte ich fürs Wochenende.

5
    Neben dem Eingang zum Bahnhofsgebäude war eine Umgebungskarte an der Wand befestigt. Zwar war die Plexiglasscheibe, hinter
     der sich die Karte befand, frischbespuckt, aber ich konnte trotz größerem Ekelabstand noch erkennen, wo der Bahnhof, das Ortszentrum, der Mühlbach, der Wanderweg
     am Bach entlang und schließlich die Rauschenmühle lagen. Wenn ich den Maßstab richtig berechnete, betrug die Strecke vom Bahnhof
     zur Mühle keine zwei Kilometer, wenn man den Fußweg am Bach entlang nahm. Die Verbindung über die Straße war ungleich länger.
     Diese machte von Bahnhof und Ort aus gesehen nämlich einen großen Bogen, denn der Wald, in dem die Rauschenmühle lag, war
     Naturschutzgebiet und durfte lediglich von unasphaltierten Forststraßen durchkreuzt werden. Die normale Landstraße entlangzugehen
     war also Unsinn, da wäre ich gut und gern eine Stunde unterwegs. Der Waldweg aber bot sich an. Verlaufen konnte ich mich kaum,
     denn der Weg führte stets am Bach entlang, und selbst wenn es unter den Bäumen wirklich stockfinster wäre, würde ich das Rauschen
     des Wassers wohl hören. Unschlüssig sah ich noch einmal auf die Karte. Sollte ich es wagen? Ich ließ meinen Blick über den
     Platz schweifen. Da drüben musste die Brücke über den Munkelbach sein. Dort ging gerade das Piercing-Pärchen seiner Wege,
     der Hund trottelte hinterher. Wie gerne würde ich jetzt selbst denen nachlaufen und mich ihnen anschließen! Ich wollte nicht
     mehr allein hier herumstehen! Es deprimierte mich, es machte mich fertig!
    Ich hatte einen Kloß im Hals, und je länger ich hier stand, desto dicker wurde er. Ich schluckte. Jetzt bloß keine Panik!
     Was hatte ich mit dem Fuchs immer und immer wieder durchgekaut? »Lass dich nicht von deiner Angst lähmen, beweg dich, dann
     bewegt sich was in dir!«
    Wenn ich zu Fuß ginge, wäre das nicht in jedem Fall besser, als hier herumzustehen wie
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