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Schwindel

Titel: Schwindel
Autoren: Kristina Dunker
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Was auch immer da gerade abging – es war bestimmt
     nicht gesund, es mitzubekommen.
    »Und was machen wir jetzt mit ihm?«, fragte eine aggressive Stimme, und obwohl ich am ganzen Körper zitterte und glaubte,
     jeden Moment laut schreien zu müssen, sah ich wieder hin. Die anderen Insassen des Geländewagens – drei junge Männer und ein
     Mädchen mitStiefeln, Minirock und langen, weißblonden Haaren – gruppierten sich in einem Kreis um den Liegenden. Ein Feuerzeug flammte
     auf, erleuchtete für Sekunden die Gesichter.
    »Das ist ja vielleicht blöd gelaufen«, keifte das Mädchen, »könnt ihr ihn nicht noch mal durchsuchen, vielleicht hat er es
     doch dabei!«
    »Mach’s doch selbst, ich pack den nicht noch mal an!« Einer der jungen Männer – sie konnten kaum älter als ich selbst sein
     – entfernte sich von der Gruppe und kam zu meinem Entsetzen auf das Regenhäuschen zu. Mein Herz begann zu rasen, der Boden,
     auf dem ich lag, schien nachzugeben, als wolle auch er sich vor der Gefahr zurückziehen. Noch schien der junge Mann mich nicht
     gesehen zu haben, er drehte sich wieder um, blieb stehen und lehnte sich mit dem Rücken zu mir gegen einen der Stützpfeiler
     des Unterstands. So nah stand er, dass ich den Rauch seiner Zigarette riechen und die weiße, im Mondlicht reflektierende Schrift
     auf seiner Windjacke entziffern konnte:
TuS Munkelbach 79 – Sektion Handball
.
    »Also, ich fass den auch nicht an! Der stinkt.« Ein zweiter Junge entfernte sich von der Gruppe und hockte sich auf einen
     von den Scheinwerfern des Wagens angeleuchteten Stoß Baumstämme. »Verdammt, was für ein Ärger!«
    »Der stinkt nicht nur wie ’n Schwein, der ist auch eins«, bestätigte der dritte Junge, der noch beim Auto stand. »Erst große
     Schnauze haben, Leute provozieren und sich dann die Hosen vollmachen. Das haben wir gern.«
    »Der ist so ekelig«, redete sich das Mädchen in Rage.»Ich hab den schon immer gehasst, schon in der ersten Klasse, als er immer hinter uns hergelaufen ist und alles besser wusste,
     der blöde Schleicher!« Sie trat auf das Opfer ein, das sich nicht rührte, nicht einmal stöhnte.
    »Reg dich ab, Laura!«, rief der erste Junge, der in meiner Nähe stand. »Es ist genug.«
    »Genug, ja?«, herrschte ihn der Dritte an. »Leidest du unter Amnesie, Alter? Bei dem kann’s nie genug sein. Zähl mal die Fakten
     zusammen: Wir haben das Handy nicht. Wir kommen nicht an seinen Computer ran. Wir wissen nicht, ob er nicht in der Zwischenzeit
     wieder Fotos ausgedruckt oder sogar schon quer durchs Internet geschickt hat. Er hat uns so und so gelinkt, und gleich rennt
     er zu seinem Papi und petzt ihm, dass wir ihm die Fresse poliert haben. Er kann noch einiges vertragen, wenn du mich fragst!«
    »Bin auch dafür«, sagte der zweite Typ, griff sich einen dicken Ast, hielt ihn hoch, als wolle er ihn im Scheinwerferlicht
     auf seine Tauglichkeit prüfen, murmelte: »Fast so gut wie ’n Baseballschläger«, und steuerte wieder auf das Opfer zu.
    Andere Leute hätten jetzt eingegriffen, wären unter der Bank hervorgekommen, hätten die Täter als feige, unfaire Mistkerle
     beschimpft und wären dem Opfer zur Hilfe geeilt, ohne Rücksicht auf die eigene Person. Andere Leute: starke Persönlichkeiten,
     couragierte Streitschlichter und Karate kämpfende Helden – ich nicht.
    Ich kauerte mich unter der Bank so zusammen, als sei ich selber diejenige, auf die eingeschlagen werden sollte. Ich verschloss
     Augen und Ohren, ich presste die Zähne aufeinander, weil ich glaubte, gleich brechen zu müssen,und als sich der Schwindel ankündigte, ließ ich ihn kommen, dankbar, dass er mich entführte und meine Sinne wegriss von diesem
     Ort. Er klang erst ab, als das Anlassergeräusch des Geländewagens in meine Ohren drang. Sie brachen also auf, dies war das
     Zeichen, ich konnte zurückkehren in meinen Körper, konnte die kleinen Steinchen, die in meinen Rücken piksten, wieder spüren,
     den schalen Geschmack im Mund, den Schweißfilm auf der Haut. Ich wusste zwar nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber ich
     war noch im Wald und ich lebte noch. Das war zumindest etwas. Vorsichtig öffnete ich die Augen.
    Das Opfer lag an der gleichen Stelle, bewegungslos, in der gleichen gekrümmten Haltung. Von den Tätern stand nur noch einer
     draußen, breitbeinig, die Hände an die Hose gelegt und mit zurückgelehntem Oberkörper, als wolle er auf den am Boden Liegenden
     pinkeln.
    »Lass das«, fuhr ihn der
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